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Sonntagsblatt für Steiermark/Sammlung Wolfgang Pucher

Armut

Geschichte und Gegenwart von sozialer Ausgrenzung und Absicherung

„Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich!“ heißt es im Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung. In der Realität steht es um die „Gleichheit“ in vielen Bereichen jedoch sehr unterschiedlich.  Der tägliche Kampf um Existenzsicherheit und Armutsverhältnisse in Österreich sind deshalb auch in der hdgö-Hauptausstellung Neue Zeiten: Österreich seit 1918 im Bereich „Gleiche Rechte?!“ präsent.

 

Um auf die Relevanz des Themas aufmerksam zu machen, öffnet das hdgö am 17. Oktober 2024, dem Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut, bei freiem Eintritt und thematisiert in einer Kuratorinnenführung um 18 Uhr soziale Ungerechtigkeit in Österreich und den – meist unsichtbaren – Kampf der Betroffenen. 

Armut und das Zwanzigste Jahrhundert in Österreich

Nach dem Ersten Weltkrieg waren weite Teile der Gesellschaft von Hunger betroffen. Es fehlte an Lebensmitteln und Heizmaterial, eine sich rasch verbreitende Pandemie forderte tausende Todesopfer. Die junge Republik hatte darüber hinaus die wirtschaftlichen Folgen des Krieges zu bewältigen, wie zum Beispiel die Entwertung des Geldes. Mit der Einführung des Schillings und mithilfe internationaler Kredite konnte die Lage in den 1920er Jahren etwas stabilisiert werden.

In einigen Städten, vor allem im sozialdemokratischen „Roten Wien“, entstanden in dieser Zeit die ersten Gemeindebauten. Durch die Einführung einer Luxussteuer wurden großangelegte Wohnprojekte finanziert, die Arbeiter*innen menschenwürdige und leistbare Wohnungen bieten sollten. In der Ausstellung "Neue Zeiten. Österreich seit 1918" ist ein Lego-Modell des Karl-Marx-Hof zu sehen. Er ist einer der bekanntesten Gemeindebauten Österreichs und wurde 1930 fertiggestellt. 

In den 1930er Jahren führte eine internationale Wirtschaftskrise auch in Österreich zu einer katastrophalen Situation. Viele Menschen verloren ihre Arbeit oder erhielten weniger Lohn. Sozialleistungen wurden eingespart. Immer mehr Menschen lebten in Armut. Etwa 22 Prozent aller Staatsbürgerinnen und Staatsbürger waren im Jahr 1932 arbeitslos.

Eine Unterstützung vonseiten des Staates war in dieser Zeit an das sogenannte Heimatrecht gebunden – eine Regelung, die noch aus der Monarchie stammte und bis 1938 in Kraft war. Es bedeutete, dass man nur an dem Ort Unterstützung erhielt, an dem man heimatberechtigt war. Dies wiederum war jener Ort, an dem die eigene Mutter zum Zeitpunkt der eigenen Geburt gemeldet war. Auf diese Weise wurden Menschen, die im Laufe ihres Lebens aus ihrer Herkunftsgemeinde weggezogen waren, von Hilfsleistungen ausgeschlossen. Das betraf in den 1930er Jahren in den Städten rund die Hälfte aller Bewohner*innen.

 

In der NS-Herrschaft versuchte die Propaganda der Partei gezielt, Gemeinschafts- und Solidaritätsgefühl für die NS-„Volksgemeinschaft“ zu schaffen. Menschen, die dieser Ideologie nicht entsprachen - wie zum Beispiel Jüdinnen und Juden, Menschen mit Behinderung oder Langzeitarbeitslose – waren von der Unterstützung ausgeschlossen. Um Ein- und Ausschluss festzulegen, wurde besonders die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV)  eingesetzt, die lokal organisiert war, Ortsgruppenverwaltungen koordinierten die Aktivitäten. Im Gebiet des heutigen Österreichs wurde der NSV unmittelbar nach dem „Anschluss“ aktiv. Dabei gab es bereits Strukturen des „illegalen Hilfswerks der NSDAP“, das sich nach dem missglückten Putschversuch und dem anschließenden Verbot der NSDAP 1933 um geflüchtete, gefangene und arbeitslose Nationalsozialist*innen kümmerte. Durch Straßensammlungen und Hausbesuche wurde die gesamte „Volksgemeinschaft“ mobilisiert. Die öffentlichkeitswirksamen Aktionen des WHW sollten eine solidarische Bekämpfung von Armut vortäuschen.

 

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs veränderte die Sozialpolitik der Zweiten Republik und der wirtschaftliche Aufstieg Österreichs im „Wirtschaftswunder“ die Situation: Armut nahm im Vergleich zu den Jahrzehnten davor stark ab. In den 1970er-Jahren vertrat die Bundesregierung eine Politik der Vollbeschäftigung, die vor allem über die verstaatlichten Betrieben allen Menschen Versorgungssicherheit über ihren Beruf geben sollte. Menschen, die nicht Teil dieser Berufswelt sein konnten, waren teils von umso stärkerer Ausgrenzung betroffen. In der Art und Weise, wie sie dargestellt wurden, wirkte auch antidemokratisches Gedankengut und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit weiter (etwa im Vorwurf der „Arbeitsunwilligkeit“ oder des „Schmarotzens“).  In den Jahren ab 1990 bekamen Debatten um Armut eine neue Wichtigkeit: Zunehmende Sichtbarkeit von Betteln im öffentlichen brachte das Thema zurück in die Schlagzeilen. Durch die europäische Integration vermischten sich aber zunehmend wieder Debatten über Armut mit jenen über Migration – arme Menschen wurden oft als fremd dargestellt, wie schon auch hundert Jahre davor.

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