1848: Pillersdorfsche Verfassung
Österreichs erstes Grundgesetz
Der Jurist Franz Freiherr von Pillersdorf(f) (1786–1862) machte zunächst in der Finanzverwaltung des habsburgischen Reiches Karriere, ehe er 1842 an die Spitze der Vereinigten Hofkanzlei trat. Er war geprägt von der fortschrittlich-vernunftorientierten Ära des Josephinismus – benannt nach Kaiser Joseph II. Am 20. März 1848 wurde der bekennende Liberale Pillersdorf zum Innenminister berufen und übernahm am 4. Mai schließlich noch zusätzlich dazu das Amt des Ministerpräsidenten.
Unter seiner Leitung erarbeitete der „Ständische Zentralausschuss“ eine erste Verfassung für die zum „Österreichischen Kaiserstaat“ zusammengeschlossenen Länder, die am 25. April 1848 erlassen wurde.
Diese Verfassung definierte das Kaisertum Österreich, das mit dem Königreich Ungarn und Lombardo-Venetien in einer Personalunion verbunden war, erstmals als konstitutionelle Monarchie. Die Vertretung der Bevölkerung wurde über ein Zweikammern-Parlament gewährleistet, wobei die habsburgischen Erzherzöge ab vollendetem 24. Lebensjahr zusammen mit den vom Kaiser ernannten Ministern und den gewählten Repräsentanten des Großgrundbesitzes die Erste Kammer – den Senat – bildeten. Der Abgeordnetenkammer gehörten 383 Mandatare an, die von jenen Männern gewählt wurden, die das 24. Lebensjahr vollendet hatten und nicht Fürsorgeempfänger, Dienstboten, Tag- und Wochenlöhner waren. Dieses Parlament besaß das Recht auf die Ausarbeitung und den Beschluss von Gesetzen, trat aber nur auf Aufforderung durch den Kaiser zusammen. Der Kaiser als Träger der Staatsgewalt besaß ein absolutes Vetorecht gegenüber parlamentarischen Initiativen, Gesetzesentwürfe konnten nur durch ihn in Kraft gesetzt werden.
Entscheidend für die Bewohner*innen des Kaisertums war der durchaus markante Grundrechtskatalog der Verfassung (hier den Originaltext lesen). Er sicherte den Staatsbürger*innen bürgerlich-politische Rechte zu, darunter Glaubens-, Religions- und Gewissensfreiheit, sicherte ein rechtsstaatliches Verfahren zu und garantierte Pressefreiheit und Briefgeheimnis – um nur einige Beispiele aus dem umfangreichen Regelwerk zu nennen. Darüber hinaus garantierte er soziale und ökonomische Grundrechte, etwa das Recht auf Erwerbsfreiheit, Besitz und, dass alle Ämter für alle Bürger zugänglich waren.
Weder die alten Eliten noch die Masse der Bevölkerung, die auf Demokratisierung drängte, konnten sich mit dieser ersten Verfassung anfreunden. Nach der Überreichung einer Liste an Forderungen (die „Sturmpetition“) durch die Wiener Nationalgarden, Studenten und Arbeiter*innen wurde die Verfassung am 16. Mai zu einem Provisorium herabgestuft und schließlich am 16. Mai 1848 außer Kraft gesetzt. Das Scheitern dieser Verfassung und die andauernden Unruhen im Königreich Ungarn und in den italienischen Gebieten der habsburgischen Herrschaft veranlassten Pillersdorf am 8. Juli 1848 zum Rücktritt, während „seine“ Verfassung durch den Reichsrat ersetzt werden sollte.