1993: Lichtermeer
Massenprotest gegen das „Ausländer-Volksbegehren“
Am 23. Januar 1993 versammelten sich bis zu 300.000 Menschen am Heldenplatz in Wien, um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz zu setzen. Sie reagierten damit vor allem auf das von der FPÖ unter Jörg Haider initiierte Volksbegehren „Österreich zuerst“, das vom 25. Januar bis 1. Februar zur Unterzeichnung auflag. Es forderte eine Verfassungsbestimmung, dass Österreich kein Einwanderungsland sei, die Umsetzung eines Einwanderungsstopps sowie diverse restriktive Maßnahmen gegenüber „Ausländern“. Dementsprechend wurde es auch als „Anti-Ausländer-Volksbegehren“ bezeichnet.
Getragen wurde das so genannte „Lichtermeer" von der neu gegründeten NGO SOS Mitmensch, unterstützt wurde es von einer breiten Allianz aus Flüchtlingshilfsorganisationen, der Österreichischen Hochschüler*innenschaft, den Gewerkschaften und religiösen Gruppierungen, außerdem von Vertreter*innen der SPÖ, Grünen, Kommunistischen Partei und auch der ÖVP. Wenige Tage nach dem Lichtermeer spalteten sich fünf Nationalratsabgeordnete von der FPÖ ab, bildeten unter dem Vorsitz von Heide Schmidt eine eigene Fraktion und gründeten das Liberale Forum als neue Partei, die sich vom ausländerfeindlichen Kurs distanzieren und klassisch liberale Positionen vertreten wollte.
Das „Anti-Ausländer-Volksbegehren“ der FPÖ und das darauf antwortende „Lichtermeer" stehen nicht nur zwischen der kontroversiellen Waldheim-Präsidentschaft und dem EU-Beitritt Österreichs: Die 1990er Jahre stellen mit neuen Fremden- und Aufenthaltsgesetzen und einer Asylgesetznovelle eine entscheidende Phase für die Fremden- und Migrationspolitik in Österreich dar. Es begann eine Politisierung der Migrationspolitik, die zuvor durch die Sozialpartner*innenschaft weitgehend dem politischen Einfluss und der politischen Debatte entzogen war – unter den seit den 1980er Jahren stark veränderten Rahmenbedingungen der österreichischen politischen Landschaft: mit einer sich zu einer rechtspopulistischen Volkspartei wandelnden FPÖ mit Jörg Haider als Obmann und den Grünen und dann Liberalen als neuen politischen Kräften.
Während das „Lichtermeer“ die bislang größte Demonstration der Zweiten Republik war, blieb das Volksbegehren mit 416.531 Unterschriften (7,35 % der stimmberechtigten Bevölkerung) weit hinter den Erwartungen der FPÖ von 20 % zurück. Mit ihm wurde auch eine Umdeutung des Heldenplatzes versucht, die wegführen sollte von der anhaltenden Punzierung durch die jubelnde Menge, als Hitler am 15. März 1938 den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich verkündete.