1943: Zentralinstitut für Theaterwissenschaft in der Hofburg
Institutsgründung im Interesse nationalsozialistischer Kulturpolitik
Helene Richter und Max Herrmann zählten zu den wichtigsten Theaterforscher*innen ihrer Zeit. Hermann wurde aus Berlin, Richter aus Wien in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo beide im November 1942 starben. Wenige Monate später eröffnete auf Betreiben von Gauleiter Baldur von Schirach das Zentralinstitut für Theaterwissenschaft in der Wiener Hofburg. Ziel des zum Institutsdirektor berufenen SS- und NSDAP-Mitglieds Heinz Kindermann war es, europäische Theatergeschichte in antisemitisch-rassistischer Manier umzuschreiben und kanonische Theatertexte für nationalsozialistische Propaganda nutzbar zu machen. Der Schauspieler Heinrich George (Hitlerjunge Quex, Jud Süß, Wien 1910) sowie der spätere Burgtheaterdirektor Raoul Aslan hielten Gastvorträge. Mit teils geraubten Buchbeständen, u.a. aus der Sammlung Helene Richters, baute man eine theaterwissenschaftliche Fachbereichsbibliothek auf.
Im Zuge der Entnazifizierung verlor Kindermann 1945 seinen Lehrstuhl, erhielt ihn aber 1954 trotz öffentlicher Proteste zurück. 1966 folgte ihm Margret Dietrich, bereits seit ihrer Jugend überzeugte Nationalsozialistin und erste Promovierte am Zentralinstitut, als Institutsleiterin nach. Beide nutzten bis in die 1980er Jahre ihren Einfluss, um akademische Karrieren kritischer Studierender zu verhindern und prägten so auch über ihre aktive Zeit hinaus die Ausrichtung des Instituts.
Mit der Broschüre Theater-Wissenschaft und Faschismus waren es Studierende, die 1981 erstmals eine Publikation vorlegten, in der NS-Vergangenheit und personelle Kontinuitäten benannt und ausführlich eingeordnet wurden. Im Vorfeld des 65. Jahrestages der Institutsgründung 2008 gab es verstärkte Bemühungen um eine institutionelle Aufarbeitung der Gründungsgeschichte.
Die 1999 in Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaft umbenannte Institution führte die von Kindermann konzipierte Zeitschrift Maske und Kothurn bis ins Jahr 2020 weiter. Die erste Ausgabe des neuen Journal for Theater, Film and Media Studies (TFMJ) widmete sich 2023 der verdrängten NS-Gründungsgeschichte der Vorgängerzeitschrift und enthält mehrere Beiträge zu (post-)nationalsozialistischen Kontinuitäten.
Reader der Basisgruppe Theater-, Film- und Medienwissenschaft: Theaterwissenschaft und Postnazismus (2009)