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Foto: Markus Guschelbauer/Haus der Geschichte Österreich, cc-by nc 4.0

ZU(ge)HÖREN: Radio, Affekt, Geschichte (CfP)

Call for Papers für eine wissenschaftliche Tagung

Am 30. September und 1. Oktober 2024 wird eine internationale und interdisziplinäre Tagung in Wien unterschiedliche Perspektiven aus den Bereichen der Kultur-, Medien- und Musikwissenschaft sowie der Zeitgeschichte und Public History zum Thema der Wirkmächtigkeit des Radios in Verhandlungen von Zugehörigkeit ins Gespräch bringen. Die Tagung findet anlässlich des 100. Jahrestags der Gründung des ersten staatlichen österreichischen Rundfunksenders statt und beschließt ein gemeinsames Forschungsprojekt zum österreichischen Nachkriegsradio von der Universität Wien, der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien und dem Haus der Geschichte Österreich.

 

ZU(ge)HÖREN: Radio, Affekt, Geschichte

 

Irmela Schneider fasst als zentrale Paradoxie moderner Massenmedien, dass sie „alle und zugleich jeden Einzelnen (sic!), omnes et singulatim” adressieren (2008, S. 23). Sie verweist damit auf Foucaults gleichnamigen Text und dessen Ausführungen zu Pastoralmacht, und öffnet zwei Bündel an Fragestellungen, deren verwobene Fäden wir auch durch unsere Tagung spannen möchten: einerseits stellen wir den Zusammenhang von Medien und Macht, von Selbst- und Fremdführung zur Diskussion; andererseits fragen wir nach individuellen wie kollektiven Subjektivierungsmodi, nach der medialen Organisation und Performanz von Zugehörigkeit, von Inklusion und Exklusion – und beides dezidiert mit Blick auf das Radio, und insbesondere auf die Schnittstelle zwischen Sound und Affekt.

Der Ausgangspunkt unserer Tagung ist die konkrete Arbeit mit historischen Radio-Quellen, was wiederum Fragen zur Archivierungs-, Analyse- und Ausstellungspraxis im Umgang mit historischen Sound-Quellen aufwirft. Dabei wollen wir aber – auch vor dem Hintergrund aktueller politischer Debatten – die oben genannten Fragen aus der Perspektive der Gegenwart stellen: Wir möchten bei der Arbeit mit historischen Radio-Quellen den Aktualitätszusammenhang von Medien und Demokratie, Aneignung und Sinnstiftung, Mobilisierung und Agency nicht aus den Augen verlieren, sowie grundlegende Fragen zum Verhältnis von Sound, Affekt, Materialität, Technologie, Diskurs und Geschichte in der Analyse medialer Verhandlungen von Zugehörigkeit diskutieren.

 

 

Als mögliche Knotenpunkte für Beiträge schlagen wir vor: 

 

-- Sounds of Belonging: Ein Ziel der Tagung ist es, die „Nation” als Kategorie sozialer Organisation und Form kollektiver Subjektivierung in ihrem Zusammenhang mit Medien, Sound und Affekt zu befragen. In diesem Kontext möchten wir aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven die vielschichtigen Konzepte des „belonging” in den Blick bekommen (bspw., „politics of belonging”, Yuval-Davis; „political economy of belonging”, Massumi; „doing beloning”, Harders; „sense of belonging [...] visible in conflict”, Bal). Damit zusammenhängend möchten wir die Frage nach der (medialen) Imagination von Einheit und Kollektivität stellen, und die konkrete Analyse alltäglicher medialer Praktiken und Ästhetiken anregen, die (nationale) Zugehörigkeit verhandeln. 

 

-- Hegemonie und Subversion: Hier möchten wir unter anderem, und vor allem aus zeit-, kultur-, musik- und mediengeschichtlicher Perspektive, die Verschränkung von Herrschafts-/Machttheorie und dem Massenmedium Radio diskutieren. Fragen nach den „Politiken des Radios” (vgl. Schrage; Stauff) interessieren uns ebenso, wie Fragen der (kollektiven) Subjektivierung und der Regulation von Inklusion und Exklusion, v.a. im Kontext der „Nation”. Außerdem finden Diskussionen über die institutionelle Entwicklung hin zum trialen Rundfunksystem, Pirat:innen-Radios oder die Figur des „Funkerspuks” hier ebenso Platz, wie Ansätze der kritischen Theorie oder Debatten zur emanzipatorischen Mediennutzung aus dem Dunstkreis der „Radiotheorie” (Benjamin, Brecht, Adorno, u.a.). 

 

-- Sound als Quelle: Unsere Arbeit mit historischen Sound-Dokumenten bedingt Fragen nach Formaten, Aufzeichnungsmodalitäten und Aufnahme-Dispositiven (u.a. Kittler, Sterne), nach den Prozessen und Infrastrukturen von Distribution und Rezeption (u.a. Lacey, Leigh Star), sowie der Klassifizierung und Archivierung von Sound (u.a. Birdsall). Daran anschließend können sowohl Perspektiven zur Dekolonialisierung von Archiven verfolgt als auch die Rolle von institutionellen Archiven in der Stabilisierung hegemonialer Geschichtsschreibung hinterfragt werden. Auch hier stehen also Machtstrukturen, Herrschaftsformen und Wissenskulturen zur Debatte. Besonders hervorheben möchten wir dabei die Frage nach dem Verhältnis von Institutionen des „klassischen” Radios und Sammler:innen mit privaten Archiven: Welche Sendungen und Formate wurden bspw. von Institutionen archiviert – und welche nicht? Welche neuen Erkenntnisse könnte der Blick auf private Praktiken des Aufzeichnens liefern? (siehe u.a. Jahrestagung des „Studienkreis für Rundfunk und Geschichte”) 

 

-- Affekt: In all diesen Zusammenhängen wollen wir die Anwendbarkeit und den Nutzen der Theorien rund um den „Affective Turn” in den Politik-, Kultur- und Medienwissenschaften (Massumi, Boesel, Angerer, u.a.) für eine produktive und interdisziplinäre Analyseperspektive auf das Radio ausloten, die über eine Auseinandersetzung mit Repräsentation hinausgeht und insbesondere die Ebene der Klanglichkeit und der Musik berücksichtigt. Bisherige musikwissenschaftliche Anwendungen von Affekttheorien lassen ein rein hermeneutisches Verständnis von Musik als Repräsentation zugunsten der Betonung ihrer kollektivierenden und mobilisierenden Dimension in den Hintergrund treten (Born, Thompson/Biddle). Diese Dimension der Musik, und der klanglichen Ebene im Allgemeinen, kann mit jenen affektiven Prozessen ideologischer Mobilisierung in Verbindung gebracht werden, die etwa Simon Strick für rechte bzw. neurechte Bewegungen in seiner Arbeit Rechte Gefühle beschreibt. Wir freuen uns über Beiträge, die vor Hintergründen dieser Art das Verhältnis von Affekt, Klang/Musik und Zugehörigkeit im Radio diskutieren. 

 

-- Verflechtungen von Musik- und Radiogeschichte: Hier wollen wir nach den Verstrickungen und dem wechselseitigen Verhältnis von Geschichte(n) des Radios und Geschichte(n) der Musik im 20. Jahrhundert fragen. Insbesondere interessiert uns die Rolle der Musik im Radio zwischen kommerziellen Interessen auf der einen und dem monopolistischen Herrschafts- und Volksbildungsauftrag auf der anderen Seite, bzw. die Frage, ob sich eine solche oft angenommene Dichotomie überhaupt aufrechterhalten lässt. Wir freuen uns über Beiträge, welche die historische Dynamik dieses Verhältnisses etwa in Form von Fallstudien zur Diskussion stellen. Dabei kann beispielsweise der Frage nachgegangen werden, wie die konkrete Verwendung von Musik im Radio die Dynamik von Erziehung, Herrschaft und kommerziellem Interesse widerspiegelt, oder wie musikalische Praktiken auf diese unterschiedlichen und ambivalenten Anforderungen des Radios reagieren bzw. von diesen beeinflusst werden.

 

 

Einreichmodalitäten: 
Abstracts in deutscher oder englischer Sprache, max. 300 Wörter, plus eine Kurzbiografie und aktuelle Kontaktdaten bitte bis zum 3. Mai 2024 an Birgit Haberpeuntner (birgit.haberpeuntner@univie.ac.at) und Elias Berner (berner-e@mdw.ac.at). Für Nachfragen stehen wir per E-Mail gerne zur Verfügung!

Als Arbeitssprachen sind Deutsch und/oder Englisch vorgesehen; die Tagungsteile werden je nach sprachlicher Gewichtung der eingereichten Beiträge gestaltet.

Die Teilnahme an der Konferenz ist kostenlos. Vorbehaltlich einer Finanzierungszusage können die Veranstalter:innen Beiträge zu Reise- und Unterkunftskosten übernehmen (insbesondere für Teilnehmende ohne institutionelle Anbindung).

 

 

Kontakt

birgit.haberpeuntner@univie.ac.at, berner-e@mdw.ac.at