1939: Das Weihnachtslied im Nationalsozialismus
NS-Eingriffe und ihre langen Nachwirkungen
Die in Österreich weit verbreiteten, eng mit Tradition, mündlicher Überlieferung und Religiosität verbundenen Weihnachtslieder stellten die nationalsozialistischen Ideologen vor große Herausforderungen. Schließlich galt es, den Einfluss von Religion und besonders der katholischen Kirche auf die Bevölkerung möglichst zu minimieren. Ebenso wie der Festkreis des Kirchenjahres durch nationalsozialistisch umgedeutete Feste und Feiern wie z.B. das Julfest allmählich ersetzt werden sollte, suchte man auch für die Advent- und Weihnachtslieder Ersatz im Sinne der Ideologie.
Ein Paradebeispiel dafür ist Hans Baumanns Lied „Hohe Nacht der klaren Sterne“. Gedacht als „Stille Nacht“-Ersatz verschweigt es die Weihnachtsgeschichte des Lukas-Evangeliums zur Gänze und huldigt demgegenüber dem zur Wintersonnenwende (als Weihnachts-Ersatzfest) entzündeten Feuer und schließlich – in der letzten Strophe – den (deutschen) Müttern, in denen „das Herz der weiten Welt“ schlagen würde.
Da man jedoch nicht das gesamte der Bevölkerung bekannte Liedgut zum Weihnachtsfestkreis ganz einfach durch ein völlig neues Repertoire ersetzen konnte, setzte man auch auf Umdichtungen bekannter Lieder, so etwa in den von 1939 bis 1942 bei Voggenreiter erscheinenden „Salzburger Musikblättern“: Hier wurde im vorweihnachtlichen Hirtenlied „Gott griass enk, Leitln“ „Bethlehems Revier“ zur „stillen Nacht“, das „heil’ge Land“ zum „weiten Land“ oder der „Heiland ois kloas Kind“ zum „wunderbarn kloan Kind“. Im aus Salzburg überlieferten Krippenlied „Still, still, still“ hieß es plötzlich nicht mehr „Maria tut es niedersingen“ sondern „die Mutter“, was auf den ersten Blick harmloser wirkt, als es tatsächlich ist, vergegenwärtigt man sich das Rollenbild der Mutter im Nationalsozialismus.
Die zweigleisige Strategie von Lied-Ersatz und Lied-Umdichtung hat ihre Spuren auch im Nachkriegs-Österreich hinterlassen: So fand „Hohe Nacht der klaren Sterne“ neben „Stille Nacht“ Eingang in viele nach 1945 erschienene Liederbücher. Umdichtungen aus der Zeit der NS-Herrschaft ersetzen bis heute ursprünglich religiös bestimmte Texte, etwa im bekannten Lied „Es ist für uns eine Zeit angekommen“, wo das „schneebeglänzte Feld“ anstatt des „Heiland Jesu Christ“ besungen wird.