1927: Erste Wiener Festwochen
Kulturprogramm zur Überwindung von Spaltung
Die ersten Wiener Festwochen fanden vom 5. bis zum 19. Juni 1927 statt. Ein reichhaltiges Programm aus Oper und Konzert, aus Kunstausstellungen und sportlichen Wettkämpfen sowie aus Ausflugsfahrten in die nähere und weitere Umgebung sollte den Fremdenverkehr ankurbeln – und das gelang auch: Die Nächtigungszahlen im Juni 1927 fielen deutlich höher aus als im Jahr zuvor. Gleichwohl waren die Wiener Festwochen mehr als nur eine kulturelle Leistungsschau, die Tourist*innen anlocken sollte. Die Verpflichtung auf Kultur und vor allem auf Musik, die in der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Stadt immer eine große Rolle gespielt hatte, bot die Chance, die politischen und gesellschaftlichen Spaltungslinien in Wien für einen Augenblick zu überwinden: Wiener Philharmoniker und Arbeitersänger wirkten gleichermaßen bei der Eröffnungsveranstaltung mit, und die Neue Freie Presse, die Zeitung des Wiener Bürgertums, wünschte sich einen „politischen Burgfrieden“ für die Zeit der Festwochen. Rund vier Wochen nach dem Abschluss der Festwochen ließ der Brand des Justizpalastes als Reaktion auf die skandalösen Freisprüche im Schattendorfer Prozess den Versuch einer einheitsstiftenden Verpflichtung auf die Kultur als Illusion erscheinen.