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Foto: Lorenz Paulus/hdgö, cc by-nc 4.0

Fußball: Wunderteam und Córdoba

Am 7. Dezember 1932 tritt die Auswahl des Österreichischen Fußball-Bundes im Stadion an der Londoner Stamford Bridge gegen das englische Fußballnationalteam an. Das davor in 14 Spielen ungeschlagene österreichische „Wunderteam“ unterliegt den auf eigenem Boden bis dahin unbesiegten britischen Fußballlehrmeistern nur knapp mit 3:4. Ein Jahrhundertspiel, das mit einer Niederlage endete, daheim aber als ehrenvoller Stärkebeweis der Wiener Fußballkultur und rückblickend als Höhepunkt des Wunderteams gefeiert wurde.

 

Am 21. Juni 1978 spielt das österreichische Nationalteam bei der Fußball-WM in Argentinien gegen die Mannschaft der BRD. Österreich ist zu diesem Zeitpunkt bereits aus dem Turnier ausgeschieden, durch das 3:2 von Córdoba über die „Piefke“ und die zwei legendären Tore Hans Krankls zerstört man jedoch die letzten Hoffnungen der Bundesrepublik auf einen Turniererfolg.

 

Stamford Bridge und Córdoba sind zwei Gedächtnisorte des österreichischen Sports. Speziell die WM 1978 ist für jene Generation, die in den 1970er und 80er Jahren aufwuchs, zu einem Moment kollektiver Erinnerung geworden. Ein Eintrag im Buch zum Haus der Geschichte erscheint also naheliegend. Dennoch wollte sich beim Autor zunächst keine Freude über den Auftrag einstellen. Zu Córdoba sei doch wirklich schon alles gesagt, vielleicht nur noch nicht von jedem, ächzte schon 2008 der Journalist Lukas Wieselberg, der dem Match zehn Jahre davor ein eigenes Buch gewidmet hatte. Das war in den 1990er Jahren, zu einer Zeit, als der Fußball plötzlich wieder gesellschaftsfähig wurde und die Generation von „Wickie, Slime und Paiper“ ihre Biografien entlang von ästhetischer Erinnerung an die Konsum- und Unterhaltungskultur ihrer Kindheit bastelten. Córdoba und seine Helden wurden seitdem viel zu oft durch den Verwertungsfleischwolf von Werbung und Medien gequetscht. Und der augenzwinkernd-ironische Verweis auf die Bedeutung des Spiels für das deutsch-österreichische Verhältnis und das österreichische Nationalbewusstsein als solches banalisiert die tatsächliche Rolle einer nationalen Populärkultur, wie sie der Sport generiert, für nationale Identifikation.

 

Das Wunderteam und Córdoba stehen dabei historisch für den Beginn und den Höhepunkt einer Entwicklung, in der der Fußball von einer urbanen Praxis in Wien zu einem Nationalsport wurde, der auch die Provinz erfasste. Ein Schlüssel dazu war medialer Wandel. 1932 war der Fußball in Wien Stadtgespräch, die ganze Stadt in „fiebernder Erwartung“ auf das Match an der Stamford Bridge, befeuert durch Sportzeitungen, Sonderseiten der Tageszeitungen und Radioberichte. Die Live-Übertragung des Spiels per Unterwasserkabel, u.a. auf den Wiener Heldenplatz, galt als Sensation. Auch in den Bundesländern wurden die heimkehrenden Spieler, allesamt Angehörige Wiener Profiklubs, auf der Durchreise gefeiert. Das Spiel war in der konfliktreichen politischen Lage der frühen 1930er Jahre ein seltener Anlass, „bei dem die Österreicher über alle Differenzen hinweg ihren ‚eigenen‘ und nicht ‚fremden‘ Helden zugejubelt hätten“, so der Kulturhistoriker Werner Michael Schwarz.

 

1978, rund 35 Jahre später, war das Fernsehen Leitmedium, der Österreichische Rundfunk versammelte die Nation vor dem TV-Lagerfeuer – auch wenn die Stimme des Reporters Edi Fingers noch aus dem Radio kam. Der ORF erzeugte in den 1970er Jahren neben Córdoba eine Reihe von Momenten kollektiver Sporterinnerung, vom Ausschluss des Skistars Karl Schranz von Olympia 1972 in Sapporo über die Spiele 1976 in Innsbruck bis zum Unfall des Formel-1-Piloten Niki Lauda im selben Jahr. Die Gedächtnisorte des Sports sind dabei oft langlebiger und wirkungsvoller als jene der offiziellen Nationalgeschichte, wie der Soziologe Gunter Gebauer festhält. Das liegt nicht zuletzt an ihrem populären Charakter, d.h. der affektiven Bindung und persönlichen Aneignung durch die Menschen, sowie ihrer Einbettung in eine populäre Konsumkultur. So berichteten die Zeitungen 1932 von „Kolonnen Wiener Schlachtenbummler“ die trotz Wirtschaftskrise das Wunderteam nach England begleitet hatten. Das Kleine Blatt beschrieb die persönliche Heldentat von „fünf Wiener Fußballfanatikern“, die zu Fuß zum Spiel nach London gelangt waren und dafür 98 Tage gebraucht hatten.

 

In den 1970er Jahren waren Sportübertragungen Straßenfeger. Eine fast sozialdokumentarische Sportmosaik-Sendung des ORF aus dem Jahr 1973 über das verlorene Entscheidungs-Qualifikationsspiel zur WM 1974 zeigt nicht nur die Reise der österreichischen Fans zum Spiel gegen Schweden nach Gelsenkirchen, sondern auch die leeren Straßen in den österreichischen Städten am Abend des Matches. Wer die Emotionen rund um Córdoba nachvollziehen will, sehe sich die enttäuschten Gesichter der – meist männlichen – Fans nach dem Schlusspfiff im verschneiten Stadion an. 1980 lag der Sport jedenfalls mit 90 % auf Platz 1 einer Umfrage zu jenen Leistungen Österreichs, auf die die Befragten persönlich stolz wären, ähnliche Werte gab es ebenfalls in den 1990er Jahren.

 

Die Emotionen des Sports sind auch für die Politik von Nutzen. Als es nach 1945 darum ging, eine demokratische österreichische Identität zu kreieren, griff der kluge Wiener Kulturstadtrat Viktor Matejka auf den Fußball zurück. 1948 beauftragte er den Maler Paul Meissner ein Gemälde des Wunderteams zu schaffen. Die Stars dieser inzwischen legendären Bildikone, allen voran der 1939 mysteriös verstorbene Matthias Sindelar, standen für beides: für die angebliche Opferrolle Österreichs im Dritten Reich wie für die Selbstbehauptung einer spezifischen (Sport-)Kultur, in Abgrenzung von den „Preußen“. Dass Fußballstars wie Sindelar auch Profiteure von NS-Arisierungen waren, war zu dieser Zeit noch kein Thema. Das zeigt, dass auch die Sportgeschichte Prozesse des Verdrängens und Vergessens kennt. Sie ist, wie staatliche Erinnerungskultur, Ausdruck von politischen Kämpfen und Brüchen.

 

Das gilt auch für das Wunderteam: Die populäre Massenkultur des Fußballs war im „Roten Wien“ der 1920er Jahre entstanden, doch der Sport wurde damals durch ideologische Trennlinien geteilt. Die Sozialdemokratie setzte auf pädagogischen Massensport, organisiert in den Vereinen des Arbeitersports, und bekämpfte den bürgerlichen Sportbetrieb – oder besteuerte ihn, mit den Luxussteuern von Stadtrat Hugo Breitner. In Wien war 1924 dennoch die erste europäische Profi-Fußballliga außerhalb Englands gegründet worden, deren Anhänger und Spieler sich nicht zuletzt aus der Wiener Arbeiterschaft zusammensetzten. Vor der Popularität des Wunderteams der frühen 1930er Jahre musste auch die SDAP kapitulieren. Selbst Cheftheoretiker Otto Bauer lobte das Team in einer Parlamentsrede und der Parteipublizist Jacques Hannak schrieb in der Arbeiter-Zeitung, „Wir müssen sehen, was ist, und wir wollen nicht einmal sagen, dass es kein Fortschritt ist“. Profitieren vom Wunderteam wollten aber nicht zuletzt die Austrofaschisten, die 1933/34 die Demokratie in Österreich ausschalteten. Kanzler Engelbert Dollfuß suchte die Nähe der verehrten Fußballer, die Spieler mit dem Bundeswappen auf dem Trikot wurden zu Repräsentanten einer forcierten österreichischen Nation.

 

Das Bild des Wunderteams verdeckt heute alternative Wege der Sportgeschichte, die mit dem Sieg des Faschismus beendet wurden. So ist etwa die Erinnerung an die internationale Arbeitersport-Olympiade, die 1931 im neuen Wiener Praterstadion einen Höhepunkt der Selbstrepräsentation des Roten Wiens darstellte, neben den Taten des Wunderteams verblasst. Stattdessen wurde die Nation zum Leitbegriff des Sports.

 

Auch der Gedächtnisort Córdoba scheint längst von seinem historischen Kontext gelöst. So gab es bereits 1978 Diskussionen über die Rahmenbedingungen eines Sportgroßereignisses in einem autoritären Staat. In Deutschland versuchte Amnesty International die Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtssituation in Argentinien zu lenken. Das von einer Militär-Junta regierte Land, in dem tausende Regimegegner der Diktatur zum Opfer fielen, wollte innen- und außenpolitisches Prestige aus der WM zu ziehen. Auch in Österreich gab es schüchterne Versuche einer Kampagne gegen das Turnier. Man verurteilte die unkritische Berichterstattung der Boulevardpresse, forderte öffentliche Stellungnahmen der österreichischen Regierung und des ÖFB, und nicht zuletzt die großzügige Aufnahme argentinischer Flüchtlinge. Im Argentinischen Verband sei „der Vertreter der Luftwaffe für Kopfbälle zuständig, der vom Heer für Bodenkämpfe und der von der Marine für Spiele im Regen“, hieß es etwa in einer Broschüre der Sozialistischen Jugend. Der für den Inhalt verantwortliche Herausgeber, so ein Treppenwitz der Geschichte, wurde später Spin-Doktor und Redakteur der Kronen-Zeitung.

 

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