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Markus Guschelbauer

Inländerrum

Warum der Inländerrum in ein Buch gehört, das Beispiele für »das Österreichische« bespricht, ist schnell erzählt. In seinen Namen ist die Geschichte der österreichischen Weltpolitik des 18. und 19. Jahrhunderts eingeschrieben, die – von einigen kurzen Projekten abgesehen – keine Kolonialgewalt auf Kontinenten außerhalb Europas entwickeln konnte. Ein unmittelbarer Effekt davon war, dass in Österreich Zuckerrohr und damit Rum teuer waren. Zur Abhilfe wurde neutraler Alkohol mit Aromen versetzt und gefärbt, was ein bis heute in allen Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie beliebtes Getränk hervorgebracht hat. Durch seinen vieldeutigen Namen hat ebendieses erstens für eine endlose Reihe an Verwirrungen gesorgt (die »Kardinalschnitte« lehrt, dass Lebensmittelnamen eben nicht immer auf Zutaten verweisen) und zweitens nach der Jahrtausendwende den politisch sinnstiftenden Exzess (»Inländerrum statt Ausländer raus«) ermöglicht.


Trotz der schon lange Zeit und transnational bestehenden Verbreitung des Inländerrums ist er nur als Trittbrettfahrer in das Pantheon der Symbole von »Österreichidentität« aufgestiegen. Im »Jagertee« von Wolfgang Ambros’ Austropop-Klassiker Schifoan ist er ebenso versteckt wie in der Aprikotierung der Sachertorte oder im Schaum des Kaiserschmarrns, aber in den Rang einer österreichischen Spezialität wagt dieses Produkt nur der amtliche »Österreichische Lebensmittelcodex« leichtfertig zu erheben. Unterstellt werden darf, dass solche Zuordnungen in Österreich nirgends so gut verborgen werden können wie in einem Codex. Dahinter verbirgt sich aber ein Trick der Lebensmittelindustrie: Von den Regulierungen der Bezeichnungspraxis waren die Pendants des Inländerrums in Staaten von Slowenien bis Polen betroffen. Während in Tschechien und der Slowakei (seit dem offiziellen Verbot der Bezeichnung Rum für dieses Kunstprodukt) die Flaschen nur mehr mit dem Wort »tuzemak«, also »Inländer« bedruckt werden dürfen, haben sich die österreichischen Institutionen entschlossen, die volle Gewalt der Bürokratie zur Rettung des Wortteils »Rum« einzusetzen. Per Ministererlass wurde sogar die Geschichte Österreichs zu der einer historischen »Seemacht« umgeschrieben.

Seither wird tatsächlich Zuckerrohrschnaps gefärbt und aromatisiert verkauft, wobei die Bezeichnung »Inländerrum« gesetzlich als »geographische Angabe von überregionaler Bedeutung« geschützt ist. Damit nicht genug, wurde im Erlass auch die »schlagwortartige Verwendung « von Prozentziffern für jeden anderen Alkohol verboten, schließlich »sei das geeignet, das Ansehen von Inländerrum auszunützen und den Verbraucher in die Irre zu führen.«


Wie ich seit dem Schreiben dieses Beitrags weiß, haben ausnahmslos alle in Zentraleuropa wohnenden Menschen eine Anekdote zu erzählen, die mit Inländerrum zu tun hat und mindestens persönlichkeitsprägend ist. Mir wäre die zugehörigkeitsstiftende Funktion dieses Getränks völlig entgangen, hätte mir nicht ein ungarischer Freund eine ebendieses Produkt – noch dazu in 80 %iger Alkoholkonzentration – enthaltende Flasche als den »typischsten österreichischen Schnaps« unter die Nase gehalten. Weniges bringt so zuverlässig die nationalistischen Gefühle in nationalismuskritischen Österreicher*innen hervor wie (scheinbare) Fehleinschätzungen in Bezug auf Kunst oder Kulinarik. Entsprechend scharf fiel auch meine Kritik aus, mit der ich sofort jegliche Legitimität des Attributs »österreichisch«, zu dessen Verteidigung ich mich scheinbar aufgerufen sah, im Zusammenhang mit diesem Produkt zurückwies. Schließlich galt es, die Verbindung Österreichs mit »guter Küche« zu behaupten (und mit »gutem Wein«, zählt doch der Umbau von Entwicklungsregionen zu versnobten »Weingegenden« nach dem Glykolskandal der 1980er Jahre zu meiner Kindheitssozialisation).

Die Geschichte endet mit einer passionierten Verteidigungsrede meinerseits zugunsten eines improvisiert herbeigeredeten »milden Aromas«, mit der ich eine zwischen Aufruhr und Massenohnmachten schwebende internationale Hochzeitsgesellschaft beruhigen wollte, die zum Verkosten genötigt worden war. Seither weiß ich, dass außer einem Team von jungen Volleyballerinnen, die unter dem Gruppennamen »80er-Rum, haut uns um!« antraten, um während Wettkämpfen zu dopen, niemand ungestraft seinen Organismus mit unverdünntem Achtzigprozentigem in Berührung bringen kann.


Dem provinziellen Kulinarikchauvinismus hält der Inländerrum den Spiegel der Realität kultureller Praktiken vor. Er ist die Fleischwerdung der in den Tschecherln quer durch Österreich verbreiteten Devise, dass »alles von Brennspiritus aufwärts« die Kriterien eines freudig zu empfangenden Getränks erfülle. Wie schon Susanne Breuss, Karin Liebhart und Andreas Pribersky in ihren hellsichtigen Stichwörtern zu Österreich festgehalten haben, tritt hier der doppelte Boden der Klischees vom kulinarischen Österreich klar zutage: Ob mit dem Genuss nicht eigentlich Völlerei, mit dem »Spitz« nicht nur die euphemistische Verniedlichung von Rausch oder gar Betäubung gemeint ist, lässt sich nicht immer sagen. Eine solche Unentschiedenheit kann man dem Inländerrum nicht andichten, vielleicht firmiert er deshalb nicht unter den offiziellen Nationalsymbolen, anders als die vielen anderen kulinarischen Stichworte, die in diesem Buch besprochen werden. Wer zum Inländerrum greift, hat eindeutige Absichten und ist weder gegen den eigenen Willen »picken geblieben«, noch hat sie*er versehentlich »eines zu viel erwischt«.


In den »Café« genannten Lokalitäten österreichischer Kleinstädte wurden in den 1990er Jahren, wie mir von über jeden Verdacht der Übertreibung erhabenen Gewährspersonen berichtet wird, von der dazu per Jugendschutzgesetz zugelassenen wie nicht zugelassenen Jungbevölkerung Kaffeebohnen im Mund zerkaut und anschließend mit warmem Inländerrum, in den vorher Zucker eingerührt wurde, hinuntergespült. Mindestens ebenso vielsagend wie diese Praxis an sich ist ihr Name: Gäbe es in solchen Gaststätten Getränkekarten, würde dieses Produkt als »Koksen« angepriesen. Während die unerbittliche Propaganda gegen die »Komasaufen« genannte Konsumation härterer Getränke dem Rausch von Schüler* innen in gewisser Hinsicht die öffentliche Anerkennung genommen hat, scheint sich die Praxis vorerst nicht überall zu ändern.


Damit diese Kulturtechniken nicht verschwinden, ist es in Österreich gängige Praxis, durch zwei Arten von Süßigkeiten mit der Bezeichnung »Rumkugeln« eine jugendliche Zielgruppe für den Alkohol zu gewinnen. Erstens ist das ein industriell gefertigtes und mit tatsächlichem Rum gefülltes Schokodragee, das selbst in rauen Mengen verzehrt den Alkoholspiegel nicht erhöht. Zumindest in meiner Erinnerung war dieser Genuss für Kinder tabuisiert. Im Gegensatz dazu wurde jedoch zweitens mit der gezielten Abgabe von Kekspralinen, deren Masse von hochprozentigem Inländerrum zusammengehalten wurde, sichergestellt, dass weihnachtliche Verwandtschaftsbesuche für alle Beteiligten reibungslos verliefen. Beim Einsatz von Alkohol als »social lubricant« existierten in Österreich lange Zeit keine Grenzen.


Kultur- bzw. sozialhistorische Entwicklungen, allen voran die Gesundheits- und Hygienebewegung, hatten erst in jüngster Zeit mit ihrem Fokus auf den Körper als hohes Gut bei einer breiten Masse Erfolg und veränderten damit den Stellenwert von Alkohol radikal. Mit dem Sozialstaat war auch die Gewissheit verbunden gewesen, dass das »gesunde Maß« an Exzess oder die Einzelfälle an Trinker* innen im Gesamten kein Problem darstellen würden. Als Behörden um 1900 zum Kampf gegen den Alkoholismus aufriefen, mussten sie schon bald zurückrudern und die Zugabe von Inländerrum zum Tee vom Verbot ausnehmen.

Österreich war bis in die jüngste Zeit das gelobte Land, in dem eine ernsthafte Dämonisierung von Alkohol undenkbar war. Erst in der gegenwärtigen neoliberalen Gesellschaft beginnt sich dieses Bild zu wandeln: Der Körper ist zur Ressource geworden, die den Wert der Ich-AG auf dem sich ständig verändernden Markt wesentlich bestimmt. Den Fußabdruck genau dieser Transformationen tragen die Vorwürfe, die Großmütter von ihren nun selbst Eltern gewordenen Kindern als Reaktion auf die geplante Verabreichung von Alkohol in Kekskugelform an den Nachwuchs zu hören bekommen. In den 70er Jahren war es der berühmte »Schnapszutz«, also der in Hochprozentigem getränkte Schnuller, in den 80er Jahren die Abgabe von gesüßtem Alkohol, sei es in Bowle, Rumtee oder Glühwein, bis in den 90er Jahren auch der mit Rum, also Inländerrum, verfeinerte Pudding, das Wein-Château oder eben die Rumkugel auf die rote Liste jener Lebensmittel kamen, die Kindern nicht mehr gegeben werden durften, zumindest nicht in Gegenwart ihrer Eltern.


In der zuletzt angesprochenen Entwicklung wird schon die ambivalente Geschlechterrhetorik sichtbar, die den Inländerrum mehr als jeden anderen Alkohol prägt. Zwar ist er einerseits als starker Alkohol »männlich« konnotiert, andererseits findet sich besonders die 80 %-Variante üblicherweise eben nicht auf den Theken der Kellerlokale und der mit »Tanzbar« überschriebenen Gaststätten am Ortsrand unwirtlicher Straßendörfer, sondern als Teil der Standardeinrichtung jedes österreichischen Haushalts, unabhängig von regionalen und sozialen Zugehörigkeiten. Und ebendort steht die Flasche auch nicht unbedingt im – wiederum als Männerraum aufgeladenen – »Schnapskastl«, sondern im zentralen Fluchtpunkt der Weiblichkeitsfantasien aller Kochbücher und Haushaltsratsgeber, der Speisekammer. Dorthin kommt der Inländerrum, wie einfach erraten werden kann, wegen seiner Bedeutung in der Mehlspeisküche, aber auch aufgrund seiner Funktion beim Einkochen von Obst für Marmeladen und Kompott.

Meine ersten Erinnerungen an Inländerrum sind der charakteristische Geruch von brennendem Alkohol auf Schwarzbeeren, Zwetschken oder Birnen, der süßlich- aromatisch für immer präsent sein wird. In dieser Welt war Rum für den Unglücksfall reserviert, in dem sich ein Kompottglasdeckel von selbst löste. Meine Mutter entzündete das Getränk im Glas kurz vor dem erneuten Verschließen, um das Eingekochte im Vakuum zu schützen. Dass jemand diese für solche semisakralen Handlungen reservierte Spezialität durch Trinken zum Zweck der Berauschung entehren könnte, ging über mein Vorstellungsvermögen.


Als einziger Verweis jenseits der unüberwindlich gedachten Geschlechtergrenze zwischen der behüteten Küche und dem »Anderen « in der Gestalt eines Tschecherls dienten die Kindersprüche auf den Rum, die ihn auf »blitzdumm« reimten. In einer vergeschlechtlichten Welt, in der selbst Alkohol in Likör und Schnaps, in Bier und Sekt getrennt wurde und wird, ist der Inländerrum daher auch ein bemerkenswerter Grenzgänger zwischen Kulinarik und Droge, Aroma und Prozenten, Genuss und Lebensmittelzusatz. Wenn erst diese Unentschiedenheit entdeckt wird, könnte der Inländerrum entsprechend den vehementesten Klischees doch noch von den Höhen der verstaubten Schnapsbudeln und Speisregale stürzen und zum Nationalsymbol verkommen.


Im Übrigen verbietet der im Jahr 2018 geltende Österreichische Lebensmittelcodex hochoffiziell die Darstellung von »Farbigen« auf mit Inländerrum gefüllten Flaschen. Dass im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln, dem Verspeisen und Vertilgen, geregelt werden muss, wie man würdig mit Menschen umgeht, eröffnet einen tiefen Blick in den Keller des nationalen Selbstbewusstseins. Das Fehlen konkreter Kolonien in der Geschichte bedeutet eben nicht, dass koloniale Fantasien und alle damit verbundenen Schattierungen des Rassismus weniger virulent wären. Dass zur metaphorischen Verdichtung dieses Zusammenhangs zwischen süß-anziehender Oberfläche und abgründig-faschistoidem Kern in der kritischen Selbstwahrnehmung eine Mehlspeise herhalten muss, passt zur klischeeverhangenen Binnenkritik (eigentlich zur Beschreibung der Kärntner*innen als »außen leicht rot, innen braun und immer unter Alkohol«). Auch der Punschkrapfen kommt aber ohne Inländerrum, also den Selbstbetrug als weltbeherrschende, imperiale Großmacht, nicht aus.

 

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