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Regionalzug bei Spittal am Phyrn ist aus 2018 und von „Liberaler Humanist“, Wikimedia
wikimedia

Ich würde auch gerne mal wieder reisen… gerne mit den ÖBB.

Wenn ich am Münchner Hauptbahnhof in den Railjet der ÖBB einsteige und die melodiöse Stimme von Chris Lohner höre, dann ist das Heimat. Sie erklärt mir, dass mich im Zugrestaurant köstliche Erfrischungen erwarten und der Zug bis Budapest Keleti pályaudvar fahren wird. Ein Gefühl der Entspannung, wieder eine Woche abgehakt zu haben, macht sich breit, wie die Vorfreude auf die hügelige Landschaft im Südosten des Landes, die es meist nach drei Tagen wieder zu verlassen gilt.

 

Nach 25 Pendlerjahren und grob gerechnet 5000 Stunden in Zügen der ÖBB verbrachter Lebenszeit weiß ich mich in diesen stählernen Containern der (Hoch-)Geschwindigkeit einzurichten, stöpsle entnervt die Ohren zu, wenn im Anzug uniformierte Gäste aufmerksamkeitsheischend so laut Anweisungen ins Handy diktieren, dass es alle hören. Ich schalte die Musik lauter, wenn ältere Ausflügler in Smartphones schreien, dass sie gerade im Zug seien, oder Unbekümmerte meinen, dialektal via Handy ihre Beziehungskrisen austragen zu müssen. Verzweifelt flüchte ich dann in die 1. Klasse, in der Gewissheit, mir mit dem Aufpreis schöne schwarze Lederfauteuils gegönnt und damit Gutes getan zu haben und bin zugegebenermaßen etwas schadenfroh, wenn bei St. Pölten die Tunnels kommen und Kommunikationen abreißen.

 

Warum ist es nicht wie in den französischen TGVs, frage ich mich, wo die Etikette gebietet, in den Vorräumen zu telefonieren. Sind die Franzosen rücksichtsvoller als wir? Französische Touristen sind im Sommer, wenn die 2. Klasse zum Bersten voll ist, nicht so häufig anzutreffende Reisende wie Asiaten, Amerikaner und natürlich Deutsche. Diese sind Dauergäste der ÖBB und bedienen mit einer solchen Selbstverständlichkeit ihr Stereotyp, dass es einer in Selbstreflexion geschulten Historikerin fast peinlich ist, darüber zu schreiben. »Ja, die Ösis«, heißt es dann, wenn der Zug bei der Baustelle in Rosenheim zum Stehen kommt, »immer gemütlich.« Als wäre die Baustelle mit der Nationalität der Zuggesellschaft untrennbar verbunden. Sogleich ertönen die Stimmen der oberbayerischen oder ostdeutschen Schaffner und verkünden, dass man sich für die aufgetretenen Unannehmlichkeiten entschuldige. Ich mag die Korrektheit des deutschen Zugpersonals. Fröhlich bestimmend lässt es gleichwohl keine Ausnahmen zu, wenn sich Touristen irren und falsche Tickets lösen. Diese Disziplin steht im Gegensatz zu einer privatisierten und oftmals verspäteten Deutschen Bahn, bei der ich durchaus zahlreiche Erfahrungskilometer sammeln konnte.

 

Und schon ist man wieder bei Stereotypen bzw. kulturellen Unterschieden. Nach all den Jahren des transnationalen Bahnfahrens bleiben einige ÖBB-Episoden im Gedächtnis, die vielleicht doch konstitutiv sind für den österreichischen Charakter oder für den Unterschied zwischen neoliberal privatisiertem und staatlich institutionalisiertem Betrieb, in dem noch eine bestimmte Großzügigkeit leistbar ist – oder beides. So erinnere ich mich, dass ein Railjet einmal mitten im Nirgendwo Österreichs extra für drei Schülerinnen hielt, die in den falschen Zug eingestiegen und, ihres Irrtums gewahr, in Tränen ausgebrochen waren. Oder an den Rückkehrer vom Münchner Oktoberfest, der nicht wusste, was Zugbindung bedeutet, und dem nur 15 Euro verblieben waren – zu wenig für eine Aufzahlung. Er möge ihm zehn Euro geben, erklärte der verständnisvolle Schaffner, damit sich der Gast noch ein Bier im Speisewagen gönnen könne.

 

Die lässige Liebenswürdigkeit der österreichischen Schaffner und Schaffnerinnen wurde vom gelegentlich unmotivierten Personal im Speisewagen konterkariert. Wer hat die armen ungarischen Kellnerinnen in die viel zu engen, Österreichflaggen-färbigen Outfits gesteckt?, dachte ich mir oft. Sie schienen übermüdet, redeten lieber laut miteinander hinter der Theke, statt sich mit kellnerisch angemessenerer Fürsorglichkeit um die Gäste des Raumes zu bemühen, der das Wort Speisewagen nicht verdient. Dass ihr Arbeitgeber, ein privater Caterer, miese Gehälter zahlte, wie in der Presse berichtet, ließ Mitleid aufkommen, wenn man zum niedrigen Gehalt auch noch die Streckenlänge bis Budapest rechnet.

 

Auch für Kaffeemaschinengebrechen waren die Kellner nicht verantwortlich zu machen. Aber wenn der Kaffee versiegt, und das in einem Zug in die Kaffeehauptstadt Wien, schlägt Verständnis rasch in Missmut um. Seit April sind die Outfits grau, der Caterer ist ein anderer, die Bedienung eloquenter und der Kaffee gut. Die Österreichischen Bundesbahnen entwickelten sich aus den k. k. Staatsbahnen, deren Hauptlinien strahlenförmig von Wien in alle Himmelsrichtungen gingen. Nur die Südbahngesellschaft, die Wien mit Österreich-Ungarns wichtigstem Hafen Triest verband, blieb von den großen Strecken privat. 1913 verfügten die Staatsbahnen bereits über ein Schienennetz von knapp 19 000 Kilometern und beschäftigten nicht weniger als 227 700 Beamte und Arbeiter. Der verlorene Krieg bedingte die gewaltsame Zerstückelung eines multiethnischen Staats- und Wirtschaftsraums. Die alten Verkehrswege wurden durch Grenzen zerschnitten, die Bahnhöfe Wiens waren überdimensioniert, die Bundeshauptstadt war in den Osten gerückt und ein Gutteil der Linienführungen verlief durch Hügel- und Gebirgsland. Am Südbahnhof versammelten sich hunderte, von Propagandabüros angeworbene Auswanderungswillige, während den Österreichischen Bundesbahnen, wie sie seit 1920 (mit Unterbrechung) heißen, die Geldmittel für die Reparaturen von Kriegsschäden fehlten.

 

1923 als Unternehmung des öffentlichen Rechts festgelegt, war ihnen das Kürzel ÖBB zunächst verwehrt. Denn das hatte sich bereits die schweizerische Oensingen-Balsthal-Bahn angeeignet. Pragmatisch drehte man die Bezeichnung um und nannte sich BBÖ. Als solche überwand das Unternehmen die schwierigen Jahre der Inflation und engagierte sich in der Förderung des Tourismus. »Österreichs Volkswirtschaft, die wegen des engen Binnenmarktes nur in regem Güteraustausch mit dem Ausland wieder erstarken kann, ist auf Gedeih und Verderb mit den Bundesbahnen verknüpft«, schrieb Otto Mayer 1928.

 

Das Staatsunternehmen machte schließlich auch Politik. In einem Klima schärfster parteipolitischer Gegensätze zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten entdeckten Ende 1932 sozialdemokratische Eisenbahner 40 Waggons voller Gewehre, die für die faschistische Heimwehr und für die rechte Regierung in Ungarn bestimmt waren. Ein krimineller Akt gegen die damalige »Nichteinmischung« Österreichs. Die Affäre beeinflusste die Position des rechten Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß in Fragen der Gehälter der Eisenbahner, deren Gewerkschaften mit Streik drohten. Die im Parlament verhandelte Frage, wie diesem Streik zu begegnen sei, führte zu einer Geschäftsordnungskrise. Diese wiederum nützte der Bundeskanzler, um 1933 eine Diktatur zu errichten, die bis zum »Anschluss« währte.

 

Am 18. März 1938 wurden die BBÖ von der Deutschen Reichsbahn übernommen. Als wichtige »Stütze des nationalsozialistischen Staates« transportierten sie Truppen und Kriegsmaterial und waren Teil der Deportationsmaschinerie von Juden und Minderheiten in die Konzentrationslager. Mit dieser Geschichte setzte sich das Unternehmen kritisch auseinander. Vor einigen Jahren erarbeiteten Historiker und Mitarbeiter der ÖBB die Wanderausstellung Bahn und Nationalsozialismus in Österreich 1938–1945 in St. Pölten.

 

1947 wurden die ÖBB – wie sie seitdem heißen – vom Staat neu gegründet, wiederaufgebaut und sukzessive elektrifiziert, wobei ihnen ab den 1960ern das Auto als Transport-Konkurrent immer stärker zuzusetzen begann. In den folgenden Jahrzehnten waren die Bundesbahnen und die Frage ihrer Verortung als Staatsunternehmen immer wieder ein Konfliktfeld zwischen damaligen Großparteien und Regierungskoalitionen.

 

2004 wurden die ÖBB unter einer rechtsliberalen Koalition erstmals zur Holding mit operativen Tochtergesellschaften mit einem Unternehmensrecht für private Unternehmer. Die Eigenständigkeit der Tochtergesellschaften wurde 2012 von der SPÖ-ÖVP-Regierung wieder eingeschränkt, doch dies ist wohl nicht das Ende der ÖBB-Strukturgeschichte. 2016 betreute die ÖBB mit 40 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Streckennetz von 5000 Kilometern, erhielt 1100 Bahnhöfe, spulte mit 6420 Zügen pro Tag etwa 11,1 Milliarden Personen-Kilometer ab und transportierte 461 Millionen Fahrgäste mit Bahn und Bus – Reisende, Migranten und Flüchtlinge.

 

Im Sommer 2015 erntete der damalige Chef der ÖBB, Christian Kern, in europäischen Demokratien übernationale Wertschätzung, als er aus pragmatischen und humanitären Motiven Sonderzüge und Busse für Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten bereitstellen ließ. Gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfern und ÖBB-Mitarbeitern wurden bis Februar 2016 etwa 800 000 Menschen transportiert.

 

Zugfahren ist wie ein Roadmovie. Der Weg ist das Ziel – manchmal anstrengend und ermüdend, dem eigenen Zustand oder den äußeren Umständen geschuldet, aber stets bereichernd angesichts menschlicher Unzulänglichkeiten und positiver Überraschungen. Die ÖBB, sie mögen ein Staatsbetrieb bleiben, sind ein traditionsreiches Unternehmen, ein Arbeits- wie ein Entspannungsort. Und auch dieser Text wurde, Jahre 2018, in einem Zug geschrieben.

 

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