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Foto: Cybularny/Wikimedia Commons, CC0 1.0

1989: Europäisierung der Erinnerung an NS-Verbrechen

Eine neue Ära der Erinnerung an Holocaust, Genozid und Kollaboration in Europa

Die Bundesrepublik Deutschland musste als Nachfolgestaat des Deutschen Reichs bereits früh die Verantwortung für NS-Verbrechen übernehmen. Das erwies sich insofern als vorteilhaft für die deutsche Gesellschaft, als sich aus dem offiziellen Bekenntnis zur Aufarbeitung die Möglichkeit ergab, wieder stolz auf Deutschland sein zu dürfen – weil man die Vergangenheit so gut „bewältigt“ habe. Im post-nationalsozialistischen Österreich wurde bis in die 1980er Jahre der Opfermythos gepflegt, der erst im Zuge der sogenannten „Waldheim-Affäre“ 1986 aufgebrochen wurde, als Wahlkampfaussagen des Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim eine öffentliche Debatte auslösten. Zu dieser Zeit herrschte in den meisten Ländern Europas, die mit NS-Deutschland kollaboriert hatten, irgendeine Art von Geschichtsklitterung vor: In Frankreich etwa war die Vorstellung beliebt, dass im Wesentlichen die ganze Bevölkerung in der Résistance, also im Widerstand gewesen wäre. In den 1990er Jahren wurde dann aber im Zuge der Europäisierung der Erinnerung in Frankreich auch die Verantwortung für die vom Vichy-Kollaborationsregime begangenen Verbrechen nach und nach eingestanden.

 

Nach dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Diktaturen des „Ostblocks“ hielten Politiker*innen in West- und Ostmitteleuropa wegweisende Reden. In diesen bekannten sie sich zur Mitverantwortung ihres Landes an Kollaboration und Holocaust, später seltener auch am Genozid an Romnja und Roma – zum Teil unter ausdrücklicher Berufung auf den Kniefall des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt auf dem Gelände des ehemaligen Warschauer Ghettos 1970. In den Staaten des ehemaligen „Ostblocks“ kamen diese Bekenntnisse manchmal vor allem aufgrund außenpolitischer Überlegungen zustande, um etwa im Zuge der EU-Beitrittsbemühungen zu signalisieren, dass man bereit für Europa sei. Nach der großen EU-Osterweiterung 2004 wurde gewissermaßen auch die Erinnerungskultur einer Osterweiterung unterzogen: Die neuen Mitgliedsländer setzten durch, dass auch die stalinistischen Verbrechen in den europäischen Erinnerungskanon eingegliedert wurden. Diese Entwicklung war geprägt von einer Gleichsetzung von nationalsozialistischen und stalinistischen Verbrechen, wie der 23. August als Gedenktag für die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus zeigt. Die Gefahr bei dieser Koppelung besteht darin, dass die eigene Bevölkerung ausschließlich als Opfer fremder Mächte begriffen und Kollaboration ausgeblendet wird.

Jahr
1989
Autor*innen