#nachgefragt bei Marco Buckovez & Heidi Schleich
Wir haben #nachgefragt bei Marco Buckovez und Heidi Schleich:
Wo leben die Angehörigen der jenischen Volksgruppe hauptsächlich?
Was sind zentrale Momente in der jenischen Geschichte?
Welche Chancen bietet die Anerkennung als Volksgruppe?
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Marco Buckovez, geb. 1984, ist freischaffender Künstler und Musikant in Innsbruck, Obmann und Mitbegründer des Vereins Jenische in Österreich, Aktivist zur Anerkennung der Jenischen in Österreich und Europa, Projektmitarbeit bei der Initiative Minderheiten Tirol, Mitorganisator der Jenischen Kulturtage in Innsbruck und Obmann des Brauchtumsverein St. Bartlmä Wilten (T).
Heidi Schleich, geb. 1965, ist Sprachwissenschafterin, Logopädin, systemische Beraterin, diverse Berufstätigkeiten als Logopädin, Tutorin, Lehrbeauftragte an der Universität Innsbruck, Almhirtin, sozialpädagogische Beraterin, Mitarbeit in verschiedenen Kunst-, Kultur- und Frauenprojekten und in Projekten, die sich für Minderheiten und Flüchtlinge engagieren, gemeinsam mit der Initiative Minderheiten Tirol Organisation der Jenischen Kulturtage, Mitbegründerin des Vereins Jenische in Österreich, Aktivistin für die Anerkennung der Jenischen in Österreich und in Europa, diverse Publikationen.
Ich bin der Buckovez Marco, Obmann des Vereins „Jenische in Österreich“, und I darf tibbern, I bensch an gwanten Schein („I darf sagen, I wünsch a guten Tag“).
Mein Name ist Heidi Schleich. Ich bin Sprachwissenschafterin und als solche mit dem Jenischen schon sehr lange beschäftigt und bin in dem Verein „Jenische in Österreich“ Schriftführerin. Und der Marco und ich wir sind sehr viel unterwegs, um die Anliegen der Jenischen zu kommunizieren.
Wo leben die Angehörigen der jenischen Volksgruppe hauptsächlich?
(Marco Buckovez) Wo leben Jenische ist eine schwierige Frage eigentlich, weil es aufgrund der fehlenden Aufzeichnungen immer recht schwierig nachzuvollziehen ist, wer jenisch ist und wer nicht. Prinzipiell ist es so, dass das in ganz Österreich verteilt ist. Also es gibt so Hotspots, sag ich mal: Im Waldviertel gibt es relativ viele, in Loosdorf gibt es viele und im Tiroler Oberland und auch im Tiroler Unterland.
(Heidi Schleich) Es gibt viele jenische Familien in Salzburg, in Kärnten. Also es gibt quasi in jedem Bundesland eigentlich Jenische. Die Schwierigkeit ist die, dass jenische Familien ja über Jahrzehnte, Jahrhunderte lang diskriminiert worden sind. Insofern ist es nicht besonders, wie soll ich sagen, ehrenvoll zu sagen: ich bin jenisch, sondern das ist eher was, was man quasi unter dem Tisch hält. Und das ist nichts, was einem Ruhm bringt. Und viele jenische Familien wollen eigentlich nicht mehr darüber reden, weil sie diesen Makel und diese Diskriminierung loswerden wollen.
Was sind zentrale Momente in der jenischen Geschichte?
(Heidi Schleich) Was in der Erzählung der jenischen Geschichte ein ganz wichtiger Punkt ist, ist, dass die jenische Geschichte eine erzählte Geschichte ist. Also Jenisch heißt, eine mündliche Tradition. Es wird von Generation zu Generation weitergegeben. Es wird nicht in ein Buch geschrieben. Und das spüren wir jetzt in diesem Kampf um die Anerkennung, dass das sowas tut wie, das Jenische gibt es eigentlich nicht, weil es nicht benannt ist. Und wenn es irgendwelche Dekrete gegeben hat, wo die jenische Lebensweise beschrieben worden ist, dann sind das „Vagabunden“, „Umherziehende“, „Räuberbanden“, dann sind das alles Mögliche. Und es ist relativ schwer, aus diesen Dekreten herauszulesen, sind das jetzt Jenische oder geht es um jemanden ganz anderen.
(Marco Buckovez) Bevor wir in dieser klassischen Wegwerfgesellschaft angekommen sind, waren die Jenischen ein wichtiger Bezug für die ländliche Bevölkerung als Lieferant von Waren und Informationen. Je mehr das dann aber in diese Wegwerfform gegangen ist, hat man sie nicht mehr gebraucht, da waren sie nicht mehr notwendig. Dementsprechend hat dann relativ schnell und relativ brutal die Diskriminierung und die Ausgrenzung angefangen und hat dann seine Spitze im Nationalsozialismus erreicht, indem das dann viele Jenische als „Asoziale“ oder „Arbeitsscheue“ ins KZ deportiert worden sind.
Nach dem Nationalsozialismus hat die Diskriminierung nicht aufgehört, sondern ist einfach weitergegangen, indem, dass man jenischen Familien ihre Kinder entzogen hat. Und viele Heimgeschichten, gerade in Tirol, sind oft mit jenischer Vergangenheit sehr verbunden.
Welche Chancen bietet die Anerkennung als Volksgruppe?
(Heidi Schleich) Grundsätzlich geht es in der Anerkennung schon mal drum, dieser Volksgruppe den Respekt zurückzugeben. Also das heißt, eine Volksgruppe, die so lange diskriminiert war, deren Mitglieder ständig verdächtig sind oder verdächtig waren, denen einfach zu sagen: Wir verstehen, dass ihre eine Volksgruppe seid, dass ihr eine eigene Sprache habt, dass es eine verbindende Geschichte gibt, und, dass ihr ja auch über viele Jahrhunderte wahrscheinlich, ein sehr wichtiger Teil unserer Geschichte und unserer Gesellschaft wart.
Das Schlimmste, was man mit Menschen tun kann, ist ihnen zu sagen, dass es dich nicht gibt. Diese Verfolgung und Diskriminierung hat sich einfach sehr tief in das Familiengedächtnis vieler eingeschrieben.
(Marco Buckovez) Vor allem, wenn man jetzt die Alten hernimmt, zum Beispiel. Viele alte Jenische sind sehr stolze Menschen eigentlich oder stolze Männer daheim zu Hause in ihren Familien, aber wenn sie in die Mehrheitsbevölkerung gehen, dann stecken sie den Kopf ein. In Form der Anerkennung kann ich dann zu den Alten gehen und sagen: Es gibt keinen Grund mehr, sich zu verstecken! Geht hinaus, wie ihr daheim seid, zeigt euch! Das ist das, was uns verwehrt wird in einer gewissen Art und Weise.
(Heidi Schleich) Der andere Teil ist, dass eine Anerkennung natürlich auch heißt, wir kommen vor in der Geschichte, wir kommen vor in Geschichtsbüchern und wir kommen vor in Schulbüchern. Unsere Geschichte wird neu erzählt und wir sind Teil dieses Landes und dieser Republik. Das finde ich, ist ein ganz wichtiger Teil. Und natürlich geht es dann letzten Endes auch darum, dass man Projekte finanzieren könnte.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
(Marco Buckovez) Mein Wunsch ist eigentlich der Wunsch, den ich auch an meine eigene Community immer wieder richte: die Zeit sich zu schämen gibt es nicht mehr. Seid stolz drauf, sagt es, dass ihr es seid und geht hinaus.
(Heidi Schleich) Als Wunsch kann ich formulieren, dass unsere Arbeit weiterhin Früchte trägt. Dass es Menschen gibt, die sich für uns Jenische interessieren. Es gibt ja auch europäische Bestrebungen, die Jenischen anzuerkennen. Also das heißt, wenn es in Österreich nicht funktioniert, dass es dann auf europäischer Ebene funktionieren kann. Und wir hätten uns ja immer gewünscht, dass Österreich vorangeht in der EU, das ist uns leider verwehrt geblieben. Und grundsätzlich denke ich, ist es einfach wichtig, dass unsere Arbeit Türen öffnet. Das ist uns einfach ein großes Anliegen.