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#nachgefragt bei Karin Berger, Dokumentarfilmerin

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Wir haben #nachgefragt bei Karin Berger, Dokumentarfilmerin:

 

Was bedeutet der Begriff „Zeitzeugen“ für Sie?

Welche Rolle spielen Fakten in persönlichen Erinnerungen?

Wie lassen sich Interviews (nicht) illustrieren?

Worin liegt Ihre Rolle beim Interviewen von Zeitzeug*innen?

Wie hat sich Ihre Arbeit mit Zeitzeug*innen verändert?

 

Karin Berger, eine Pionierin der filmischen Arbeit mit Zeitzeug*innen in Österreich, war am 22. Juni 2023 zu Besuch im hdgö. Dabei setzte sie ihre eigenen Erfahrungen mit Interviews in Beziehung zur Ausstellung Ende der Zeitzeugenschaft?

Sie gab auch Einblicke  hinter die Kulissen des Entstehens filmischer Zeugnisse. Wie und warum beginnt jemand überhaupt, Stimmen von NS-Überlebenden aufzuzeichnen? Was bedeutet das und wie können diese Stimmen für ein breites Publikum hörbar gemacht werden? Dazu brachte sie auch einen Ausschnitt aus ihrem aktuellen Film Wankostättn mit, der unlängst bei der Diagonale als bester Kurzdokumentarfilm ausgezeichnet wurde. 

 

Karin Berger ist Regisseurin und Autorin. Seit den frühen 80er Jahren liegt ein Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Interviews mit Zeitzeug*innen. Im Kollektiv* entstanden die Bücher Der Himmel ist blau. Kann sein, in dem sich österreichische Frauen an ihren Widerstand gegen das NS-Regime erinnern sowie Ich geb Dir einen Mantel, dass du ihn noch in Freiheit tragen kannst zum Widerstehen der Frauen in den Konzentrationslagern. Aus Interviews, die auf Video gedreht wurden, entstanden die Filme Tränen statt Gewehre und Küchengespräche mit Rebellinnen. Ab Mitte der 80er Jahre begleitete sie die Romni Ceija Stojka bei ihrem Weg in die Öffentlichkeit, sie ist Herausgeberin der mittlerweile in viele Sprachen übersetzten Bücher Wir leben im Verborgenen und Träume ich, dass ich lebe? und Regisseurin der Filme Ceija Stojka und Unter den Brettern hellgrünes Gras. Sie lebt in Wien. 

 *Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori

Die Veranstaltung in Bildern (3)
Interview Transkript

Ich bin Karin Berger. Ich bin Regisseurin für Dokumentarfilm und Autorin. Ich habe sehr viel zeitgeschichtlich gearbeitet, unter anderem mit der Romni Ceija Stojka.


Was bedeutet der Begriff „Zeitzeugen“ für Sie?

Also ich habe den Begriff „Zeitzeugen“ nie so viel verwendet. Ich verwende ihn, weil er gebräuchlich ist und da ist. Er hat sich heute jetzt sehr konzentriert auf die überlebenden Verfolgten des Nationalsozialismus. Ich finde, er hat so zwei Ebenen für mich. Ja, weil natürlich ist es eine Art Zeugenschaft. Was ist damals passiert? Was haben wir gesehen, was haben wir erlebt? Aber er hat auch immer so einen defensiven Charakter, finde ich. Weil ja Zeuge doch etwas ist, was in Gerichtsverhandlungen eine Rolle spielt, wo ein Unrecht geschehen ist oder ein Unfall passiert ist. Dann gibt es immer Zeugen, die etwas bezeugen müssen und auf jeden Fall schwören müssen, die Wahrheit zu sagen.
Und das, finde ich, ist eine Überforderung an das, was wir unter Zeitzeugenschaft so im täglichen Gebrauch verstehen, weil die Überlebenden ja ihre Erinnerungen schildern. Sie erzählen, was sie erlebt haben, und da spielen die Fakten auch eine große Rolle. Aber im wesentlichen ist es der Prozess einer Rekonstruktion ihrer Erinnerung, die wir mitbekommen können und hören können, wenn wir Interviews machen und mit ihnen sprechen.


Welche Rolle spielen Fakten in persönlichen Erinnerungen?

Wenn eine Kritik kommt an dem, was Erzählende sagen über ihre Erinnerungen und ihre Vergangenheit, dann würde ich als erstes mal sagen, dass es ja eine Erzählung ist und dass wir nicht vor Gericht stehen und auch nicht vor der Polizei. Und dass es ums Erinnern geht. Und wo es immer sehr wichtig ist, ist ja das eigene Erleben. Es sind auch die Gefühle, die man hatte, die Angst, die man hatte, die sich ja in schriftlichen Quellen nie so ausdrücken können wie in Oral History-Quellen. Ich mache ein Interview nicht, weil ich Fakten überprüfen will, sondern weil mich die Person interessiert, weil mich ihre Geschichte interessiert, weil mich interessiert, woher hat sie die Ressourcen genommen, überhaupt zu überleben den Nationalsozialismus. Das sind für mich die wesentlichen Themen. Also wenn ich ein Interview mache, habe ich nicht schon ein System von einem Verwendungszusammenhang, wo ich sie dann einbauen möchte, um etwas zu beweisen, sondern ich möchte ihnen zuhören und das ist ja eine Erzählung. Und trotzdem bleibt es eine Erzählung im Endeffekt. Und wenn ich sie filme, dann bleibt auch das Bild ein Bild und ist nicht die Wahrheit an sich.


Wie lassen sich Interviews (nicht) illustrieren?

Bei Unter den Brettern hellgrünes Gras [Film], da geht es um die Romni Ceija Stojka, um ihre Zeit im [KZ] Bergen-Belsen, die 1945 dorthin kam und dann von der britischen Armee befreit wurde. Und da geht es um diese letzten Tage und um die Befreiung.
Und ich habe mir gedacht zu Beginn, das ist eine tolle Idee, weil ich ja weiß, dass es von der Befreiung von der britischen Armee sehr viele Aufnahmen gibt und die Ceija war zu der Zeit dort, also nehme ich das eine und das andere und das verbinde ich miteinander. Im Schnitt hat das überhaupt nicht funktioniert und das hat mir selber wieder mal bewiesen, wie wichtig es ist, sich in manchen Dingen für eine Perspektive zu entscheiden.
Und da geht es einfach um Ceijas Perspektive als Kind in Bergen-Belsen. Und das will ich nicht bebildern. Es funktioniert auch nicht. Wenn ich ein Interview habe und Archivmaterial, spielt das natürlich zusammen, aber es wird dann sehr oft das eine fürs andere als Beleg verwendet. Wann es gelingt, dass man es diskursiv verwendet, dann finde ich das super. Aber das ist sehr selten der Fall. Also da muss der ganze Film schon anders gestrickt sein. Also man muss sich dann mit den beiden Perspektiven des Interview-Materials und des Archivmaterials auseinandersetzen. Ich muss mal das Archivmaterial anschauen: Warum ist das so gemacht? Aus welcher Perspektive ist es gedreht? Und so weiter… Dass das irgendwo dann noch dazu zusammenpassen kann.


Worin liegt Ihre Rolle beim Interviewen von Zeitzeug*innen?

Also meine Rolle bei den Interviews ist, dass ich sehr gut informiert bin über die Geschichte der Person, die ich interviewe vorher und über die Zeitgeschichte, in der ihr Leben stattgefunden hat. Dass ich dann aber versuche, das möglichst persönlich zu führen, in dem Sinne, dass überhaupt kein Druck entsteht, über die Geschichte zu sprechen. Dass kein Druck entsteht, es muss jetzt alles ganz genau stimmen und ich muss wissen, ob die Uniform von dem, der mich da gequält hat, braun oder schwarz war, sondern man kann wirklich im Gespräch die Erinnerung rekonstruieren. Die muss nicht fertig sein vorher, bevor ich das Interview mache.
Und ich finde es wesentlich, dann beim Interview den Erzählenden wirklich Raum und Zeit zu geben. Und ich finde, es gibt nichts Schöneres bei einem Interview, wenn ich das anschauen kann und ich darf Menschen beim Denken zusehen oder beim Suchen und Finden, das ist einfach das Tollste, was es gibt, finde ich.


Wie hat sich Ihre Arbeit mit Zeitzeug*innen verändert?

Meine Rolle hat sich seit der Zeit, wo ich die Arbeiten gemacht habe und jetzt, nachdem so viele Leute schon verstorben sind … Meine Rolle ist sozusagen dabei, sich zu verändern. Und es ist mir zum Ersten Mal aufgefallen im Bezug auf Ceija Stojka weil nachdem sie gestorben war, ist sehr sehr viel passiert. Sie ist ja im Ausland, also in Frankreich, in Spanien, in den Niederlanden, in den USA sehr rezipiert worden. Da waren die Filme sehr wichtig, die Bücher sind übersetzt worden und ich erzähl jetzt sozusagen über sie oder auch bei den Frauen im Widerstand [Film] dann erzähle ich jetzt über diese Frauen. Sie erzählen nicht mehr selbst.

 

Manchmal komme ich mir vor wie eine Zeitzeugin der Zeitzeug*innen.

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