#nachgefragt bei Maria Ecker-Angerer, Historikerin
Wir haben #nachgefragt bei Maria Ecker-Angerer:
Was ist Ihr Zugang zum Führen von Interviews mit Zeitzeug*innen?
Wie hat sich die Arbeit mit Zeitzeug*innen verändert?
Wie sehen Sie die Zukunft der Zeitzeug*innenschaft?
Im Rahmen der #nachgefragt-Reihe des hdgö war Maria Ecker-Angerer am 30.3.2023 zu Gast im hdgö. In der Ausstellung Ende der Zeitzeugenschaft? sprach sie als eine der Pionier*innen über ihre fast 20 Jahre lange Arbeit mit Zeitzeug*innen – im Auftrag des Bildungsministeriums bzw. für _erinnern.at_. Dabei richtete sie einerseits den Blick auf sehr frühe Interviews, etwa von David Boder, und deren Einfluss auf ihre eigene Rezeption von Zeitzeug*innengesprächen. Anderseits nahm sie Erzählstrategien in den Fokus: Wie erzählen Zeitzeug*innen über ihr Leben und inwiefern hat sich dies im Lauf der Jahrzehnte verändert – und warum? Hierbei konnte sie auch ihre Erfahrung in der psychosozialen Arbeit einfließen lassen – eine Fachrichtung, die sie in den letzten Jahren neu eingeschlagen hat.
Maria Ecker-Angerer, Historikerin und Psychotherapeutin (in Ausbildung unter Supervision), langjährige Mitarbeiterin von _erinnern.at_. Schwerpunkt: Interviews mit Zeitzeug*innen der NS-Zeit und wie diese sich über die Jahrzehnte verändert haben sowie die didaktische Aufbereitung der Erzählungen für die Vermittlungsarbeit.
Für mich liegt in der Möglichkeit der echten Begegnung und der Möglichkeit eines echten Dialogs mit diesen Menschen, darin liegt die besondere Qualität der Zeitzeugenschaft. Und es wäre schön, wenn man, wenn auch in anderer Form, das aufrechterhalten kann.
Ich bin die Maria Ecker-Angerer. Ich bin Historikerin und Psychotherapeutin in Ausbildung unter Supervision und ich beschäftige mich seit inzwischen sehr langer Zeit mit den Erzählungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und wie man diese didaktisch aufbereiten kann.
Was ist Ihr Zugang zum Führen von Interviews mit Zeitzeug*innen?
Mein Zugang zum Führen von Interviews war grundsätzlich immer ein sehr offener. Ich würde ihn als sehr offen beschreiben. Und zwar, wenn man sich überlegt, es gibt da ganz unterschiedliche Interviewmethoden. Das geht von der einen Seite von ganz strukturiert – also es gibt einen fixfertigen Fragebogen, den es abzuarbeiten gilt – und das Pendant dazu wäre das ganz offene Interview, wo man ein Interview mit der Frage beginnt: „Bitte erzählen Sie mir Ihr Leben.“ Ich persönlich bin immer in die Richtung gegangen, wenn es möglich war, das Interview so offen zu machen und es meinem Gegenüber möglich war, sich auf diese Offenheit einzulassen, was gar nicht so leicht ist, dann sozusagen in ein freies Erzählen zu kommen, dann habe ich das immer ganz wunderbar gefunden.
Ein zweites, was mir wichtig ist, ist dass ich nach den Interviews immer eine sogenannte soziale Phase gemacht habe mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Das heißt, das war mir ganz wichtig, dass wir beide danach noch genug Zeit haben, um Kaffee zu trinken, Kuchen zu essen oder was auch immer, um den Zeitzeugen, die Zeitzeugin wieder ganz gut in der Gegenwart, im Hier und Jetzt zu verankern sozusagen. Und das ist vielleicht auch noch ganz spannend, denn natürlich geht’s dann auch immer darum, sich selber als Interviewer oder Interviewerin zu versorgen nach so einem Gespräch. Nämlich die sind ja auch für mich sehr emotional gewesen zum Teil und da ging’s dann auch für mich darum: Was brauch ich jetzt nach dieser Begegnung, damit’s mir wieder gut geht.
Wie hat sich die Arbeit mit Zeitzeug*innen verändert?
Ich hab meine ersten Interviews 2001 in Israel geführt damals mit holocaustüberlebenden Frauen und seitdem hat sich vor allem verändert, dass immer neue Gruppen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen dann gekommen sind, weil sie entweder bereit waren, ihre Geschichten zu erzählen oder weil die gesellschaftliche Wahrnehmung eine größere war. Also bei den Gruppen denke ich zum Beispiel an die Kärntner Sloweninnen und Kärntner Slowenen. Das war vor zwanzig Jahren als ich begonnen habe, waren die gesellschaftlich noch nicht so im öffentlichen Bewusstsein angekommen.
Und das Zweite ist, dass sich natürlich auch das Alter der Zeitzeugen und Zeitzeuginnen verändert hat, gleichzeitig aber auch der Erfahrungshorizont von dem sie erzählen. Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die heute noch aktiv an Schulen gehen, die waren während der NS-Zeit Kinder. Als ich begonnen habe vor 20 Jahren, habe ich mit Menschen gesprochen, die zum Teil noch als Erwachsene in Konzentrations- und Vernichtungslagern waren. Das heißt, dass sind ganz unterschiedliche Erfahrungen. Auch oft, sag ich jetzt als Psychotherapeutin, auch ganz unterschiedliche Prägungen. Also wenn das wirklich so in der frühen Kindheit diese ganz dramatisch-schrecklichen Erfahrungen einem passieren, was das dann auch mit deinem Leben macht und was das bedeutet.
Und das dritte, was sich für mich verändert hat, war ganz spannend zu sehen, dass die Zeitzeugen immer älter werden und die Interviewer/Interviewerinnen tendenziell jünger. Das finde ich ganz spannend, wenn man zu den ganz frühen Interviews von David Boder geht. Da ist er dieser gesetzte, alte, honorige Professor, der großteils mit ganz jungen Menschen spricht. Und das hat sich im Laufe der Jahrzehnte einfach umgedreht und das macht auch was mit der Interviewdynamik.
Wie sehen Sie die Zukunft der Zeitzeug*innenschaft?
Aus meiner Sicht glaube ich, ist es jetzt zum ersten jetzt einmal noch ganz wichtig, so lange es möglich ist, das Angebot zu nutzen, Zeitzeugen/Zeitzeuginnen zum Beispiel in Schulen einzuladen, zu Gesprächen einzuladen, weil einfach diese echte Begegnung schon eine ganz besondere Qualität hat. Diese Erfahrung hab ich eben auch immer gemacht zum Beispiel mit Schulklassen, dass das einfach dadurch, dass da tatsächlich jemand in der Klasse ist, der das erlebt hat, der das erzählt, wo man rückfragen kann, dass das eine ganz besondere Erfahrung ist für die Menschen. Entsprechend kritisch sehe ich die Entwicklung. Also ich finde technologische Fortschritte grundsätzlich toll. Eine kritische Grenze hat’s bei mir bei diesem Thema, wenn das in Projekte geht wie das „New Dimensions in Testimony“, wo dann durch die Technologie, die es möglich macht, Dialog und auch Begegnung sehr stark suggeriert wird, so als wäre das noch möglich. Also der Zeitzeuge sitzt als Hologramm im Klassenzimmer und antwortet auf Stichwort. Das läuft halt über ein Computerprogramm, aber es ist halt kein echtes Gespräch und das halte ich für schwierig. Entsprechend wäre ich persönlich dafür, solche Formate zu fördern, wo weiterhin trotzdem Begegnungen möglich sind. Nämlich mit Menschen aus der zweiten Generation, zum Beispiel aus der dritten Generation, die dann zum Beispiel auch in Schulen, bei anderen Veranstaltungen nicht nur die Geschichte der Eltern erzählen, – auch, und da können dann eben auch wunderbar Videointerviews eingesetzt werden – und aber dann aber auch darüber erzählen: Was hat diese Geschichte der Eltern mit mir gemacht. Was hat die Geschichte für mein Leben bedeutet. Für mich liegt in der Möglichkeit der echten Begegnung und der Möglichkeit eines echten Dialogs mit diesem Menschen, darin liegt die besondere Qualität der Zeitzeugenschaft. Und das wäre schön, wenn man, wenn auch in anderer Form, das aufrechterhalten kann.