1933: Österreichischer Siedlungskolonialismus in Brasilien
Kulturimperialistisches Überlegenheitsgefühl und Vertreibung von indigener Bevölkerung
1933 gründeten österreichische Kolonialist*innen in Brasilien die Siedlung Dreizehnlinden; 1935 folgte Babenberg und ein Jahr darauf – zu Ehren des 1934 von Nationalsozialisten ermordeten Diktators – die Siedlung Dollfuß. Das Land dafür kauften sie mit Unterstützung des Dollfuß-Schuschnigg-Regimes. Insgesamt wendete dieses rund 800.000 Schilling für das siedlungskoloniale Projekt auf; nicht zuletzt, weil es dessen kulturellem Sendungsbewusstsein entsprach. Von diesem Geld kauften die Siedler*innen nicht nur Landlose, sondern auch Überfahrttickets, Geräte und Maschinen sowie Filmausrüstung für einen Propagandafilm.
In Brasilien sollten sich die Siedler*innen aber keinesfalls assimilieren, sondern den siedlungskolonialen Raum nach ihren Vorstellungen umwandeln: Dazu gehörte zum einen die gewaltsame Landnahme. Das Land, das die Kolonialist*innen dauerhaft besiedeln wollten, war nämlich keineswegs leer. Indigene Bauernfamilien hatten dort rechtmäßig gelebt. Die Österreicher*innen fühlten sich ihnen überlegen und forderten ihre Vertreibung; es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Schließlich wurden die Brasilianer*innen unter Androhung von staatlicher Waffengewalt von ihrem Land verdrängt. Dort wollten die Österreicher*innen bis zu 10.000 Personen ansiedeln. Bis 1938 erreichten aber nur knapp 800 die Siedlungen.
Anstelle der indigenen Bevölkerung sollte zum anderen eine „reine“ Siedler*innen-Gemeinschaft treten. Für Andreas Thaler (1883–1939), den christlichsozialen Politiker und ehemaligen Landwirtschaftsminister, der sich als unangefochtener „Führer“ der Siedlung verstand, kamen als Auswanderer*innen ausschließlich „Österreicher deutscher Nationalität und römisch-katholischer Religion“ infrage; andere blieben ausgeschlossen. Um das kulturimperialistische Überlegenheitsgefühl im siedlungskolonialen Alltag sichtbar zu machen, bauten die Kolonialist*innen im „alpenländischen“ Stil und sollten sich Thaler zufolge nicht nur wie in der Heimat kleiden, sondern auch Brauchtum und Traditionen pflegen. Eben dieses im-/materielle Erbe bildet heute den Kern von Dreizehnlindens touristischem Angebot.
Die kulturimperialistische Absicht des siedlungskolonialen Vorhabens zeigt sich übrigens auch im Siedlungsnamen: Thaler entlehnte diesen von Wilhelm Webers gleichnamiger Erzählung, die von der Kolonisationstätigkeit eines Benediktinerklosters um 800 im „Sachsenwald“ handelt. Er schrieb darüber: „Wie im Mittelalter Mönche die Kultur in unserer Heimat verbreiteten, so sollen in religiösen Grundsätzen festwurzelnde Tiroler Bauern österreichische Kultur und Sitten in den Urwald Brasiliens tragen“.