Zu hören gewesen vom 12. März 2018 bis 8. Mai 2019
„Es ist das Hören, durch das sich Geschichte in der Gegenwart aktualisiert. Es sind die Stimmen, die diese Erinnerungen buchstäblich hervorrufen. Das ist wertvoll und unerlässlich, denn der größte Schrecken – neben dem Vergessen – ist das Verstummen.“
(Thomas D. Trummer zum Werk von Susan Philipsz)
Ausgangspunkt: Der Ort
2018 jährte sich der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich zum 80. Mal. Am 15. März 1938 verkündete Adolf Hitler unter frenetischem Massenjubel den „Eintritt“ Österreichs in das Deutsche Reich vom Altan der Neuen Burg am Heldenplatz aus. Der Ort wurde zur audiovisuellen Ikone für die Mitverantwortung eines Teils der ÖsterreicherInnen an der Errichtung der NS-Terrorherrschaft. Er ist wie kein anderer durch politische Kundgebungen und öffentliche Ansprachen von auditiver Erinnerung geprägt – diesen Ort und diesen historischen Hintergrund hat das Haus der Geschichte Österreich zum Anlass genommen, die renommierte schottische Künstlerin Susan Philipsz (*1965, Glasgow) einzuladen, eine künstlerische Arbeit für den Altan der Neuen Burg zu entwickeln.
Das Haus der Geschichte Österreich erachtet es als zentrale Aufgabe ein Zeichen zu setzen für eine reflektierte und kritische Auseinandersetzung mit der österreichischen Geschichte – im Sinne eines gleichzeitigen Blicks nach vorn. „Der Heldenplatz steht wie kein zweiter Platz in Österreich für die wechselvolle Geschichte des Landes“, so Monika Sommer, Direktorin des Hauses der Geschichte Österreich. „Er wurde durch Adolf Hitlers Rede einerseits ein Symbol für Unterdrückung, Diktatur und Mitschuld an der NS-Terrorherrschaft. Auf der anderen Seite ist er im Laufe der Jahre durch Aktionen wie z.B. das Lichtermeer gegen Fremdenfeindlichkeit im Jahr 1993 ein Platz der demokratischen Protestkultur geworden.“ Die künstlerische Arbeit von Susan Philipsz sieht die Direktorin als „in seiner Fragilität besonders starkes Zeichen, das eine Bereicherung des öffentlichen Raumes darstellt.“
Die Klanginstallation: The Voices
Susan Philipsz verknüpft in ihren Arbeiten Geschichte und Gegenwart, Raum und Klang – Letzteres ist das zentrale Medium ihres Werks. In der Verbindung zu historischen Ereignissen schafft sie so Resonanzräume für Erinnerungen und Emotionen. Die von ihr entwickelte Klanginstallation für den Heldenplatz erzeugt eine feinfühlige, unsichtbare und doch eindringliche Markierung des Ortes als zentralem Gedächtnisort der österreichischen Zeitgeschichte. Sie regt zum Innehalten, zur Reflexion und zur Diskussion an. Das vielschichtige Werk, das zwei Mal täglich, um 12:30 und um 18:30 zu hören ist, nimmt Metaphern von Stimme, Klang, Vibration, Fragilität und Glas zum Ausgangspunkt, um eine klanglich-räumliche wie inhaltliche Verbindung und zugleich Gegenüberstellung zweier architektonischer Kontrapunkte am Platz zu erzeugen: der Altan der Neuen Burg als Symbol für die Mitverantwortung von Teilen der österreichischen Diktatur an der NS-Terrorherrschaft und demgegenüber die Parlamentspavillons bzw. das Demokratiequartier, die für eine demokratische Gesellschaft stehen. Und genau hier liegen die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen sowohl der Vergangenheit als auch von Gegenwart und Zukunft.
Der Klang verschiebt sich kontinuierlich, umkreist die ZuhörerInnen; die Töne verschmelzen miteinander und erzeugen eine fühlbare und zugleich nicht gänzlich definierbare Spannung. Der Klang, der sich erhebt und wieder abebbt, gemahnt an die menschliche Stimme und nimmt damit sowohl Bezug auf den Ort als Platz von Ansprachen und Kundgebungen, als auch auf die Stimmen jener, die die Geschichte ausgeblendet und zum Schweigen gebracht hat. Im Motiv von Vibration und Glas stellt die Arbeit wiederum Verbindungen her zu frühen Mikrofon- und Radioempfangstechnologien, die häufig mit Glas- und Kristallelementen versehen waren um Qualität zu präzisieren – ein wesentliches Instrument politischer Meinungsmache, aber auch Propaganda. In diesem Kontext lässt sich auch der Einsatz von Funk lesen, der im Werk zum Einsatz kommt, um den Klang zwischen den Gebäuden zu übertragen.
Susan Philipsz
Die Jury bestehend aus Kasper König (Initiator Skulptur Projekte Münster), Stella Rollig (Generaldirektorin Österreichische Galerie Belvedere) Monika Sommer (Direktorin Haus der Geschichte Österreich) und Thomas D. Trummer (Direktor Kunsthaus Bregenz) haben die Entscheidung für Susan Philipsz für die Intervention am Heldenplatz gemeinsam gefällt.
Ursprünglich als Bildhauerin ausgebildet, setzt Susan Philipsz in ihren Arbeiten unterschiedliche Medien ein – darunter Musik, Stimmaufnahmen, Objekte, Film, Fotografie und Text. Klänge jedoch – sowohl Stimme als auch Instrumentalmusik – spielen die wesentliche Rolle in Philipszs Werken. Gerade in Zusammenhang mit der Erarbeitung einer Intervention für den Altan am Heldenplatz, der stark von auditiver Erinnerung geprägt ist, erscheint ein Zugang über dieses Medium den Anforderungen an ein künstlerisches Werk an diesem Ort mehr als gerecht zu werden. Ihre Klangräume, die sie mit Methoden von Verdichtung und Dehnung, von Verschiebung und Vermehrung zur Entfaltung bringt, sind letztlich in der Lage, Persönliches und Gesellschaftspolitisches, Vergangenes und Gegenwärtiges auf engste Weise zu verweben und neue Erfahrungsräume zu eröffnen.
Ein weiteres, wesentliches Merkmal ihrer künstlerischen Praxis ist ihr ortsspezifischer Zugang, den die konkrete Bezugnahme auf die den jeweiligen Orten zugrunde liegenden Begebenheiten und Geschichten.
Zu den Werken, die sie bisher realisiert hat, zählen u.a. die Staatliche Kunstsammlungen Dresden (2018), die Einzelausstellung Night and Fog (2016) im Kunsthaus Bregenz sowie die Arbeit Slow, Fresh Fount (2015) im Bergwerk Altaussee. In unmittelbarer Nähe zum Heldenplatz setzte sie die Arbeit War Damaged Musical Instruments (Pair) (2015) im Rahmen einer Ausstellungsreihe des Kunsthistorischen Museums Wien im Theseustempel im Volksgarten um. 2010 erhielt Philipsz mit einem Lied als erste Sound-Bildhauerin den „Turner Prize“, die höchste Kunst-Auszeichnung, die in Großbritannien vergeben wird. Susan Philipsz arbeitet mit dem Künstler Eoghan McTigue zusammen und hatte im ersten Halbjahr 2018 eine Gastprofessur am Royal Institute of Art in Stockholm inne.
Susan Philipsz, The Voices, 2018
Vierkanal-Klanginstallation, Funkübertragung
Heldenplatz Wien
von 12. März 2018 bis 8. Mai 2019
täglich um 12:30 und 18:30 Uhr
für jeweils 10 Minuten
Fachjury: Kasper König (Kurator), Stella Rollig (Generaldirektorin Belvedere), Monika Sommer (Direktorin Haus der Geschichte Österreich), Thomas D. Trummer (Direktor Kunsthaus Bregenz)
The Voices wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung des Bundeskanzleramtes Österreich.
Booklet
Zur Klanginstallation ist eine Publikation erschienen, die Sie HIER zum Download finden.
Mit Geleitworten von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundekanzler Sebastian Kurz, Bundesminister Gernot Blümel, Texten von Heidemarie Uhl und Thomas D. Trummer sowie einem Interview mit der Künstlerin, geführt von Eva Meran
Seit 8. Mai 2021 ist die Klanginstallation im Prunkstiegenhaus der Neuen Burg zu hören, täglich um 17:15. Lesen Sie mehr darüber hier.