Mich fasziniert die Vorstellung, dass Klänge, wenn sie erzeugt werden, nie gänzlich verschwinden.
Eva Meran hat Susan Philipsz in ihrem mehrmonatigen Rechercheprozess begleitet und der Künstlerin einige Fragen gestellt: Dieses Interview ist Teil einer Publikation, die anlässlich der Eröffnung des Werks erscheint.
Der Band enthält zwei weitere Beiträge: Die Historikerin Heidemarie Uhl widmet sich dem historischen Ereignis, das Anlass für die Einladung an die Künstlerin war, eine Arbeit zu entwickeln: dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich und insbesondere den Geschehnissen des 15. März 1938, an dem Adolf Hitler eine Rede am Heldenplatz hielt – mit dem dieser bis heute in der kollektiven Erinnerung des Landes stark verbunden ist.
Thomas D. Trummer, Direktor des Kunsthauses Bregenz, nimmt in seinem Beitrag wiederum die künstlerische Installation selbst in den Blick, die einen Klangraum zwischen der Neuen Burg und den temporären Pavillons des Parlaments eröffnet – und damit den Heldenplatz als zentralen Ort des österreichischen Gedächtnisses markiert, an die Opfer des NS-Terrors erinnert, wie auch an die individuelle Verantwortung für eine demokratische Gegenwart und Zukunft.
EM: Österreich gedenkt 2018 einer ganzen Reihe historischer Ereignisse: Dem Revolutionsjahr 1848, der Gründung der österreichischen Republik 1918 sowie dem „Anschluss” im März 1938 und den Novemberpogromen desselben Jahres. Das Haus der Geschichte Österreich hat Sie eingeladen, eine Installation für den Heldenplatz zu entwickeln – ein Ort, der im österreichischen Gedächtnis insbesondere mit den Ereignissen des Jahres 1938 verbunden ist. Wie haben Sie sich dieser Aufgabe angenähert? Wie hat Ihr Recherche- und Arbeitsprozess ausgesehen?
SP: Zunächst möchte ich festhalten, dass ich mich sehr geehrt gefühlt habe, als das Team des Hauses der Geschichte Österreich an mich herangetreten ist mit der Bitte, eine Installation für den Heldenplatz zu erarbeiten. Die Einladung von Monika Sommer und den anderen Jurymitgliedern Kasper König, Thomas D. Trummer und Stella Rollig empfand ich als vertrauensvolle Geste und ich weiß sie sehr zu schätzen. Der ursprüngliche Auftrag bestand darin, auf den „Anschluss” im März 1938 Bezug zu nehmen und den Altan, wo Hitler die Rede gehalten hat, zu berücksichtigen. Ich kenne den Ort von vorangegangenen Besuchen und wusste angesichts dessen Geschichte sofort, dass es eine Herausforderung sein würde hierfür eine Klanginstallation zu entwickeln. Es war mir ein Anliegen, nicht die Erfahrung einer einzelnen Stimme auf dem Balkon zu reproduzieren und ich entschloss mich, meine Intervention The Voices zu nennen – um mich von der Idee einer einzelnen Stimme zu distanzieren und zu all jenen Stimmen zu sprechen, die den Heldenplatz über die Jahre bevölkert haben. Die Stimmen von 1848, 1918 und 1968 sind ebenso präsent wie jene der offenkundigeren Ereignisse von 1938. Die „Stimmen“, die ich aufgenommen habe, entstehen durch das Reiben der Ränder von vier unterschiedlich großen Kristallgläsern. Zwar ist der Klang von Glas abstrakt, jedoch besitzt er Schärfe und Klarheit, die einer realen Stimme zum Verwechseln ähnlich ist. Es heißt, dass der Klang von Kristall am ehesten der menschlichen Stimme entspricht. Die Verbindung von Stimme und Kristall erzeugt eine Vielzahl an Assoziationen, nicht zuletzt zur so genannten „Reichskristallnacht“, und es besteht eine Spannung sowie ein Element des Missklangs in den gewählten Tönen. Der Ton wird vom Altan aus per Funk an Lautsprecher übertragen, die sich an vier Punkten am Heldenplatz befinden. Auf eine gewisse Art und Weise wird so eine Absenz am eigentlich zentralen Ort des Platzes – dem Altan – erzeugt und die Idee einer singulären Stimme aufgelöst.
EM: Sie arbeiten stets ortsspezifisch und nehmen in Ihren Werken sowohl auf die architektonischen und räumlichen als auch auf die historischen Dimensionen eines Ortes Bezug. Wie würden Sie den Heldenplatz beschreiben? Was hat sich Ihnen besonders eingeprägt, wo liegen die spezifischen Herausforderungen vor Ort?
SP: Der Heldenplatz ist einer jener Orte, an denen die Rolle der Architektur darin besteht, Macht auszudrücken. Man fühlt sich versetzt in das Herz der Österreichisch-Ungarischen Monarchie mit ihren imposanten Gebäuden und weiten Plätzen. Zugleich ist es ein heutiger, urbaner Raum. Er wird als Durchgangsort benutzt und das kann widersprüchlich wirken. Es gibt räumliche und akustische Herausforderungen, die von Anfang an deutlich wurden. Eine Klanginstallation zu realisieren, die am Altan oder der Fassade der Neuen Burg verortet ist aber am Heldenplatz gehört werden soll, ist nicht einfach. Die Ausmaße des Heldenplatzes sind groß und er ist betriebsam – bereits das bestimmt viel davon, was möglich ist. Der Heldenplatz wird als Parkplatz stark frequentiert und es gibt große Menschengruppen, die ihn täglich passieren.
Nach einem ersten Soundtest wusste ich, dass es eine viel stärkere Erfahrung sein würde, wenn wir den Klang in den Raum des Heldenplatzes erweitern und ihn nicht nur von der Fassade des einen Gebäudes ausstrahlen lassen würden. Dies haben wir am Ende auf die bestmögliche Weise geschafft; die Ausweitung des Werks über die Neue Burg hinaus und das Anbringen von Lautsprechern auch auf den temporären Parlamentspavillons verstärkt die Arbeit sowohl akustisch als auch konzeptuell. Das Parlament in das Werk einzubeziehen erzeugt eine eindringlichere räumliche Klangerfahrung und stellt zugleich eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart her.
EM: Zur Erzeugung dieses ätherischen Klangs haben Sie Kristallgläser eingesetzt – stimmt es, dass Sie dieses ‚Medium‘ zum ersten Mal für eine Arbeit verwendet haben? Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen und wie hat die Arbeit mit Gläsern als Instrumenten funktioniert?
SP: Von Anfang an dachte ich viel über Metaphern von Kristallen nach, über die „Reichskristallnacht“, die kristallenen Luster im Inneren der Neuen Burg, über mit Kristallen versehene Mikrofone der 1930er Jahre und Radios mit Kristallelementen – um die die Leute zusammenkamen, um dem Lauf der Ereignisse zu lauschen. Schließlich habe ich mich für die relativ simple Technik des Reibens von Rändern von Kristallgläsern entschieden um vier Töne zu erzeugen, die miteinander in Dialog treten. Die Klänge sind ätherisch und abstrakt, zugleich ist eine Spannung präsent, die fühlbar aber undefiniert ist. Die Töne sind leicht dissonant und der Akt des Reibens über das Glas erzeugt Vibrationen, die das Glas jeden Moment zerspringen lassen könnten. Ich wollte diese Spannung in den Aufnahmen beibehalten. Die Klänge erklingen von den Rändern des Platzes und erreichen das Zentrum, wo sie sich mit denen der anderen Seiten verbinden. Sie erreichen fast die Lautstärke der Umgebung und schaffen es doch, die Umgebungsgeräusche wie die des Verkehrs und des Wetters zu überwinden. Man hört Dinge durch den Klang, der mit den anderen Geräuschen rundherum korrespondiert oder harmoniert, einen aber zugleich woandershin trägt.
Der Klang von Glas hat eine reiche Geschichte und erstaunlich viele Berührungspunkte mit Wien. Die amerikanische Musikerin Marianne Davis ist durch Europa getourt und hat die Glasharmonika in Frankreich, Deutschland und Österreich gespielt. Mozart hat im letzten Jahr seines Lebens Partituren für dieses Instrument geschrieben, darunter ein Solo Adagio für die blinde Glasharmonikaspielerin Marianne Kirchgessner, die auch in Wien aufgetreten ist. Jedoch war der Klang von Glas nicht unumstritten. Ihm wurde nachgesagt Hysterie und Wahnsinn hervorzurufen. Man verband den Klang von Glas mit furchteinflößenden Tieren oder frühzeitigen Geburten. Geschichten von Todesfällen während Konzerten führten sogar zu einem Verbot in manchen deutschen Städten. Der berühmte Arzt Franz Anton Mesmer, der in Wien praktizierte, spielte die Glasharmonika für seine Patienten als Teil der Therapie. Seine Therapie war der Hypnose verbunden – so wurde der Begriff „mesmerisiert“ („mesmerized“) dann auch richtigerweise in Zusammenhang gebracht mit dem Effekt von Hitlers Stimme während seiner Reden.
EM: Der Heldenplatz ist stark mit einer kollektiven, vor allem visuellen Erinnerung an die Parade und damit die Rede Hitlers am 15. März 1938 verbunden. Einer der Gründe der Jury Sie einzuladen eine Arbeit für den Ort zu entwickeln bestand darin, dass Sie Klänge für Ihre Arbeiten einsetzen – um so den Ort nicht mit einer weiteren visuellen Referenz zu versehen. Im Gegensatz zum Visuellen, das Distanz erzeugt, hat Klang eine sehr intime Qualität und eine direkte, emotionale Auswirkung, der man sich schwer entziehen kann. Zugleich ist Klang untrennbar mit der Erfahrung von Zeit verbunden und somit auch von Erinnerung. Wie würden Sie die emotionale Qualität Ihrer Arbeit und auch deren Intention beschreiben?
SP: Da der Platz so imposant und die Rede sowie die darauffolgenden Ereignisse von 1938 so beängstigend sind, wusste ich, dass ich sehr subtil sein muss in meinem Ansatz. Ich denke, dass Klang ein Bewusstsein für Räume erzeugen und zugleich verschiedenste Erinnerungen an die Oberfläche bringen kann. Die Balance besteht darin, subtil aber präzise zu sein und eine Situation zu erzeugen, in der sich persönliche Erinnerungen mit einem weiteren Kontext verbinden können. Klang kann auch gefühlsgeladen sein. Jedoch verliert man sich in meinen Arbeiten nie in den Klängen, sie können einen in der Gegenwart erden und zugleich die Selbstwahrnehmung steigern.
EM: Die zuvor erwähnte Metaphorik von Kristall kann auch in Verbindung gebracht werden mit frühen Radio- und Mikrofontechnologien. Sie setzen zudem ganz bewusst Funk ein, um den Klang am Platz zu übertragen. Welche Rolle spielt dieser technologische Aspekt?
SP: Ich wusste, dass die Rede vom Heldenplatz aus an eine komplexe Anordnung von Lautsprechern rundherum übertragen wurde, so dass alle TeilnehmerInnen der Parade die vom Altan aus gesprochenen Worte verstehen konnten. Ich wollte diesen Technologien in meiner Arbeit ein Echo geben und die Idee auf alle Stimmen ausdehnen. Mich fasziniert die Vorstellung, dass Klänge, wenn sie erzeugt werden, nie gänzlich verschwinden. Daran glaubte Marconi, ein Pionier des Radios. Die Idee, dass alle Stimmen noch hier sind – wie schwach auch immer, als kosmisches Rauschen im Universum fragmentiert – ist eine solch bewegende Vorstellung. Marconi glaubte er würde schlussendlich eine Technologie entwickeln, die in der Lage wäre, die Stimmen der Vergangenheit mittels Radio hörbar zu machen. Schon seit meiner Studienzeit bin ich fasziniert von der Tatsache, dass die als „weißes Rauschen“ oder „kosmisches Rauschen“ zu hörenden Radiotöne eigentlich Radiowellen sind, die vom Big Bang herrühren – und wir somit dem Klang des expandierenden Universums lauschen!
EM: Glauben Sie, dass der Klang nicht nur auf die räumliche, sondern auch auf die relationale Erfahrung am Platz Einfluss haben kann? Ist es denkbar, dass die Menschen anders miteinander interagieren?
SP: Ich glaube Sie haben Recht, man nimmt andere vielleicht bewusster wahr – das Gegenteil von dem, was in einer kontrollierten Umgebung wie einer Konzerthalle, einer Galerie oder in einem Museumsraum passieren kann. Der Klang definiert den Raum und zieht die Aufmerksamkeit in anderer Weise auf ihn. Man wird sich des Platzes, an dem man ist, bewusster und auch der Menschen neben einem. Beim Zuhören sieht man anderen beim Zuhören zu und das kann eine starke wenn auch unausgesprochene Verbindung zwischen Menschen herstellen. Eine kollektive Erfahrung des Zuhörens, eine stille Gemeinschaft.
Susan Philipsz studierte Bildende Kunst und Skulptur in Dundee und Belfast, sie lebt und arbeitet in Berlin. Im Frühjahr 2018 lehrt sie als Gastprofessorin am Royal Institute of Art in Stockholm. Im Jahr 2010 wurde sie mit dem renommierten Turner-Preis ausgezeichnet; zudem ist sie Trägerin des Order of the British Empire. Einzelausstellungen: u.a. Staatliche Kunstsammlungen Dresden (2018), Kunsthaus Bregenz (2016), Tate Britain, London (2015), Hamburger Bahnhof, Berlin (2014), K21, Düsseldorf (2013), Museum of Contemporary Art, Chicago (2011). Ausstellungsbeteiligungen: u.a. Museum of Modern Art, New York (2013), dOCUMENTA 13, Kassel (2012), Sydney Biennale (2008), Skulptur Projekte, Münster (2007). Susan Philipsz arbeitet mit dem Künstler Eoghan McTigue zusammen.
Eva Meran ist verantwortlich für den Aufbau des Bereichs Vermittlung am Haus der Geschichte Österreich. Zuvor war sie an der Kunsthalle Wien und bei <rotor> Zentrum für zeitgenössische Kunst in Graz tätig. Sie studierte Kunstgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz und absolvierte den Masterlehrgang /ecm (educating/curating/managing) an der Universität für Angewandte Kunst Wien.
Dieses Interview ist Teil der Publikation:
The Voices
Eine Klanginstallation von Susan Philipsz am Wiener Heldenplatz anlässlich des Gedenkjahres 2018. Ein Projekt des Hauses der Geschichte Österreich.
Herausgegeben von Monika Sommer
Vorwörter: Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Sebastian Kurz, Bundesminister Gernot Blümel
Einleitung: Oliver Rathkolb, Monika Sommer
Textbeiträge: Heidemarie Uhl, Thomas D. Trummer
Interview: Susan Philipsz im Gespräch mit Eva Meran
Haus der Geschichte Österreich
Österreichische Nationalbibliothek
64 Seiten, Deutsch/Englisch
Wien, 2018
ISBN: 978-3-01-000043-7