Zeithistorische Momente sind für viele Menschen mit Bildern und Zitaten verbunden, die ursprünglich nicht zusammengehören. Das berühmteste Beispiel dafür ist der Satz „Österreich ist frei“, den der damalige Außenminister Leopold Figl bei der Unterzeichnung des Staatsvertrags 1955 äußerte. Ab dann wurde dieser Moment als eigentliche „Befreiung“ dargestellt und gefeiert – nicht mehr das Kriegsende 1945.
Durch die Verbindung mit Filmaufnahmen vom Balkon des Schlosses Belvedere entstand der falsche Eindruck, dass der Satz dort gesagt worden wäre. Tatsächlich entstanden an diesem Tag zwei Radioaufnahmen des Satzes – im Inneren des Belvederes und bei einer Kundgebung am Stephansplatz, jedoch nicht am Balkon.
Mehr dazu unter: hdgoe.at/staatsvertrag
Live-Übertragung der Rede von Außenminister Leopold Figl anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrags im Schloss Belvedere, Rundschaltung auf allen Sendern, 1:54 min, 15.5.1955, Österreichischer Rundfunk ORF
Österreichs Volk jubelt heute, Österreichs Volk dankt heute für die Freiheit, Österreichs Volk geht heute aber auch mit dem festen Vorsatz der Pflichterfüllung für die ganze Welt an die Arbeit. Wenn nun die Glocken von ganz Österreich, vom Bodensee bis zum Neusiedler See, von der Thaya bis zu den Karawanken, läuten, dann läuten sie ein die Neuzeit für Österreich, dann künden sie, dass Österreich frei ist. Österreich wird nunmehr als freier und souveräner Staat seinen Platz in der großen Familie der Völker einnehmen und in aktiver Mitarbeit in den weltumfassenden, internationalen Organisationen alles daran setzen, um seinen Beitrag für die internationale Verständigung und den Frieden zu leisten. Und es zeigt die große Tradition der österreichischen Handwerkskunst, dass dieselbe Firma, die bereits die Verträge von 1815 beim Wiener Kongress gebunden hat, auch heute dieses neue Vertragswerk handwerklich hergestellt hat. Mit dem Dank an den Allmächtigen haben wir den Vertrag unterzeichnet und mit Freude künden wir heute: Österreich ist frei!
Live-Übertragung der „Freiheitskundgebung der Katholischen Jugend“ am Stephansplatz, Radiosender Rot-Weiß-Rot, 1:49 min, 15.5.1955
Österreichischer Rundfunk ORF
Bei der Eröffnung sprach ein Botschafter: „Ich habe gebetet und bete, dass unsere Konferenz von Erfolg für Österreich gekrönt werde.“ [Jubel] Dieses Gebet eines Volkes hat sich vermengt mit dem Gebete Österreichs und das Gebet an den Allmächtigen hat uns heute den Erfolg gebracht. Wir haben unterschrieben und ich sagte am Schlusse: Mit dem Dank an den Allmächtigen haben wir unterschrieben und Österreich ist frei! [Jubel] Jugend, glaubt an den Allmächtigen! Glaubt an dieses Österreich und der Herr wird euch allen [?] Segen geben in allen Zeiten. In diesem Sinne: Dank euch, Jugend, für euer Bekenntnis und so kämpfet weiter nach dem alten Motto: Den Mutigen gehört die Welt und denen hilft Gott! Die Heimat ist frei! Es lebe Österreich!
28. Ausgabe der Sendung „Welt Ahoi!“ mit dem Titel „55 Jahre Staatsvertrag“, Radiosender Ö1, 1:51 min, 16.5.2010, Österreichischer Rundfunk ORF
„Anlässlich des Jubiläums hat Russland endlich die letzten Archive geöffnet und Welt Ahoi liegt exklusiv ein Audio-Dokument vor, das einen aufgewühlten Bundeskanzler [Außenminister] Leopold Figl in der Nacht vor der Unterzeichnung zeigt – einen Politiker, der sich seiner großen Verantwortung als Medienkanzler mehr als bewusst ist.“
„Bitte: Was zieh ich an? Mama, schlafst du schon? Mama, was soll i morgen anlegen? Schlaft schon. Was soll ich morgen sagen? Nachher, keine Ahnung. So was war noch nie. Mein Gott. Es ist vollbracht. Na jo, besser nicht. Ahh, was liegt, das pickt. Na, eher nein. Äh: Nie, mehr, nie mehr Vier im Jeep. Na, geht nicht, zu politisch. Was sogt man denn bei so Anlässen? Gut gekaut is halb verdaut. Na, stimmt zwar, aber. Ah, jetza, ja: Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ah, hab ich schon einmal, da kann sich vielleicht wer erinnern, dann wirds peinlich. [Weihnachtsrede 1945, erst 1965 rekonstruiert] Ah jetzt: For further informations please contact the conductor. Jo, do werdns schauen. Na, des is englisch, do is da Russ wieder bös. Lei Lei. Joo, so, aber besser verpackt, äh: Lichtfahrer sind sichtbarer. Na, aber merken, vielleicht passts woanders. Aber jetzt, komm, Leo, komm: Die Sonne steht schon hoch am Himmel. Ah, i geh liegen. Irgendwas wird ma scho einfallen, sonst sog ich holt irgendwas. Hoffentlich regnets. Scheiß Staatsvertrag!“
Intro der Dokumentationsreihe “zeit.geschichte auf ORF III”, 0:45 min, 2011/2012, Österreichischer Rundfunk ORF
Ein Fixpunkt der österreichischen Erinnerungskultur wurde das Figl-Zitat durch die vielfache Verwendung. Im Intro der Doku-Reihe zeit.geschichte des ORF ist es das einzige hörbare Zitat – hier mit dem Bild vom Balkon kombiniert.