Insgesamt gab es nach der Wahl der Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 26 Nationalratswahlen, davon vier in der Ersten Republik und 22 in der Zweiten. Auf dieser Seite präsentieren wir kleine Highlights aus der Analyse historischer WählerInnenströme, die sie in vollem Umfang inklusive Videos aus den Wahlkämpfen als neue interaktive Webausstellung unter dem Link hdgoe.at/wahlen entdecken können.
1919: Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung
1920: 1. Nationalratswahl
Die vielen deutschnationalen und deutschliberalen Parteien hatten sich 1920 in der Großdeutschen Volkspartei einerseits und der Deutschösterreichische Bauernpartei andererseits (später entwickelte sich daraus der Landbund) zusammengeschlossen. Erstmals angetreten, konnten sie 1920 aber nur rund ein Drittel der deutschnational orientierten WählerInnenschaft von 1919 für sich gewinnen. Der größte Teil aus diesem Lager (über 40%) wanderte 1920 zu den NichtwählerInnen.
1923: 2. Nationalratswahl
Die Nationalratswahl 1923 stand ganz im Zeichen der Genfer Sanierungsverträge. Die Christlichsozialen (CSP) mit 44,1% konnten ihre Wahlergebnisse deutlich verbessern. Sie sahen das Ergebnis als Zustimmung der ÖsterreicherInnen zur Arbeit des Bundeskanzlers Ignaz Seipel und damit zum eingeschlagenen Sparkurs. Beide großen Parteien konnten bei dieser Wahl NichtwählerInnen des Jahres 1920 mobilisieren – die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) gewann dazu und kam auf 39,6%.
1927: 3. Nationalratswahl
1930: 4. und letzte Nationalratswahl der Ersten Republik
Für diese Wahl gründete Bundeskanzler Schober, der bis dahin parteilos geblieben war, eine eigene Partei, den Nationalen Wirtschaftsbund. Er war zu den deutschnationalen Parteien zu rechnen, wurde aber drittstärkste Kraft (mit 12,8%) und schnitt damit im Vergleich zu früheren Wahlergebnissen des deutschnationalen Lagers relativ erfolgreich ab. Die Hälfte seiner Stimmen gewann er von der Einheitsliste, nicht ganz ein Viertel stammte vom Landbund und der Rest von den übrigen Parteien.
1933–1938
Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur
Nach der Ausschaltung des Parlaments 1933 wurde die Republik Österreich in eine Diktatur umgebaut. Die 1934 erlassene Verfassung schaffte den Nationalrat auch offiziell ab, er wurde daher nicht mehr gewählt.
1938–1945
NS-Herrschaft in Österreich
1938 wurde Österreich in das nationalsozialistische Deutsche Reich eingegliedert. Während der NS-Herrschaft wurden keine demokratischen Wahlen durchgeführt. Das Parlamentsgebäude an der Wiener Ringstraße wurde durch die NSDAP übernommen und für die Verwaltung und Repräsentation der Partei genutzt. Nach der Befreiung 1945 war die erste Aufgabe einer provisorischen Regierung gemeinsam mit der alliierten Verwaltung die ersten Nationalratswahlen der 2. Republik vorzubereiten.
1945: 5. Nationalratswahl insgesamt und erste Wahl des Parlaments in der Zweiten Republik
1949: 6. Nationalratswahl
Bei der Nationalratswahl 1949 waren um 940.000 Personen mehr wahlberechtigt als noch 1945: Bei rund der Hälfte handelte es sich um „minderbelastete“, ehemalige NSDAP-Mitglieder, die 1945 von der Wahl ausgeschlossen, 1949 aber wieder wahlberechtigt waren. Die andere Hälfte waren Personen, die sich 1945 noch in Kriegsgefangenschaft befunden hatten sowie Flüchtlinge, die seit 1945 eingebürgert worden waren. Die Stimmen all dieser seit 1945 hinzugekommenen Gruppen verteilten sich relativ gleichmäßig auf ÖVP (31%), SPÖ (31%) und WdU (24%). Beim deutlich kleineren WdU, der Wahlpartei der Unabhängigen, kam jedoch jede zweite Stimme aus dieser Gruppe.
1953: 7. Nationalratswahl
1956: 8. Nationalratswahl
1959: 9. Nationalratswahl
1962: 10. Nationalratswahl
1966: 11. Nationalratswahl
Die ÖVP konnte 1966 unter Spitzenkandidat und Bundeskanzler Josef Klaus mit 96% der WählerInnen, die sie erneut wählten, die höchste „Behalterate“ einer Partei bei Nationalratswahlen in der Geschichte der Republik verbuchen. Sie gewann außerdem viele ehemalige FPÖ-WählerInnen (16%) für sich.
1970: 12. Nationalratswahl
Bei der Nationalratswahl 1970 überholte die SPÖ die ÖVP und wurde stärkste Partei. Die SPÖ trat erstmals unter Bruno Kreisky an, der zu dieser Zeit noch wenig Rückhalt in der Partei hatte. Durch die Verbreitung des Fernsehens wurde der erste TV-Wahlkampf möglich.
Die Zugewinne der SPÖ kamen vor allem von der ÖVP und den NichtwählerInnen. Auch die FPÖ verlor an die SPÖ, konnte die Verluste aber durch Zugewinne von der ÖVP und den NichtwählerInnen ausgleichen.
1971: 13. Nationalratswahl
1975: 14. Nationalratswahl
1979: 15. Nationalratswahl
1983: 16. Nationalratswahl
1986: 17. Nationalratswahl
1986 traten die Grünen als gemeinsame Liste an und die FPÖ mit einem neuen Parteiobmann, Jörg Haider. Die ÖVP verlor an die FPÖ und an die Grüne Alternative, die mit Spitzenkandidatin Freda Meissner-Blau erstmals den Einzug in den Nationalrat schafften. Die Stimmen für diese Partei kamen vor allem von den Vorläuferparteien Alternative Liste Österreich (ALÖ) und Vereinte Grüne Österreichs (VGÖ), die beide 1983 am Einzug in den Nationalrat gescheitert waren.
1990: 18. Nationalratswahl
Die FPÖ konnte als drittstärkste Kraft deutlich dazugewinnen. Ihre Strategie, sich von der dritten Position aus als große Herausforderin der Großparteien darzustellen, war somit erfolgreich.
Die SPÖ verlor zwar deutlich an die FPÖ, konnte die Verluste aber durch Zugewinne von der ÖVP in etwa ausgleichen. Die ÖVP verlor gleichermaßen an SPÖ und FPÖ und etwas geringer an die NichtwählerInnen.
1994: 19. Nationalratswahl
1995: 20. Nationalratswahl
1999: 21. Nationalratswahl
2002: 22. Nationalratswahl
Vor der Nationalratswahl 2002 hatte der Knittelfelder Parteitag der FPÖ zu einem Machtwechsel innerhalb der Partei und zum Rücktritt mehrerer FPÖ-MinisterInnen geführt.
Bei den darauf folgenden Nationalratswahlen verlor die FPÖ fast zwei Drittel ihrer Stimmen. 630.000 Stimmberechtigte, das ist die Hälfte der FPÖ-WählerInnen, wechselten zur ÖVP. Das stellt den mit Abstand größten Wählerstrom in der Zweiten Republik dar. Die Behalterate ist mit 29% die niedrigste FPÖ-Behalterate bei Nationalratswahlen. Die ÖVP wurde durch den großen Zustrom an FPÖ-WählerInnen und kleineren Zugewinnen von den anderen Parteien und NichtwählerInnen klar Wahlsiegerin (42,3%).
2006: 23. Nationalratswahl
2008: 24. Nationalratswahl
2008 trat der eigentliche Gründervater des BZÖ (Bündnis Zukunft Österreichs), Jörg Haider, erstmals als deren Spitzenkandidat an.
Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP mussten starke Verluste hinnehmen, während die FPÖ unter Heinz-Christian Strache und eben das BZÖ dazugewannen. Die SPÖ verlor vor allem WählerInnen an die FPÖ, während die ÖVP stärkere Verluste an das BZÖ verzeichnete.
2013: 25. Nationalratswahl
2017: 26. Nationalratswahl
Bei der Wahl 2017 gewannen die Parteien in Summe mehr von den NichtwählerInnen als sie an sie verloren, die Wahlbeteiligung stieg so auf genau 80%, den höchsten Wert seit 2002.
2019: 27. Nationalratswahl
Die Nationalratswahl 2019 war erneut vorgezogen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) beendete die Koalition mit der FPÖ vorzeitig. Den Anstoß gab die sogenannte „Ibiza-Affäre“. Nach Beendigung der Koalition traten die FPÖ-Regierungsmitglieder aus Protest zurück. Die freigewordenen Ministerien wurden von der ÖVP neu besetzt, gegenüber dieser neuen Regierung wurde jedoch vom Nationalrat das erste erfolgreiche Misstrauensvotum seit Gründung der Republik ausgesprochen. In der Folge beauftragte Bundespräsident Alexander Van der Bellen Brigitte Bierlein mit der Bildung einer Übergangsregierung. Der Nationalrat duldete dieserÜbergangsregierung und beschloss gleichzeitig Neuwahlen im September 2019.
Bei dieser Wahl ging die ÖVP mit 37,5% als klare Wahlsiegerin hervor. Die Zugewinne der ÖVP kamen vor allem von der FPÖ. Mit deutlichem Abstand wurde die SPÖ mit 21,2% der Stimmen Zweite, das niedrigste Ergebnis für diese Partei in der Geschichte der Republik. Sie verlor vor allem an die Grünen, die mit 13,9% den Wiedereinzug ins Parlament und ihr insgesamt bestes Ergebnis bei Nationalratswahlen schafften. Die FPÖ verlor fast 10 Prozentpunkte und kam mit 16,2 % erneut auf den dritten Platz. Für die großen Verluste der FPÖ war vor allem der Wechsel zahlreicher WählerInnen zur ÖVP (etwa jede/r fünfte) und an die NichtwählerInnen (etwa jede/r sechste) verantwortlich. Die Neos konnten leicht dazugewinnen und kamen auf 8,1% der Stimmen.
Mehr entdecken
Viele Details mehr finden Sie in einer einzigartigen interaktive Station zu allen Nationalratswahlen – jetzt in der Ausstellung Neue Zeiten – Österreich seit 1918 im Haus der Geschichte Österreich: Erforschen Sie dort die Bewegungen zwischen allen Parteien bei allen Wahlen, beobachten Sie die Mandatsverteilung, schlagen Sie die SpitzenkandidatInnen nach oder lassen Sie sich ein auf die Berichterstattung zu den Wahlen im ORF-Fernsehen und in den Wochenschauen.
Das Forschungsprojekt ist eine Kooperation des SORA Instituts mit dem Haus der Geschichte Österreich. Es wurde gefördert durch das Bundeskanzleramt der Republik Österreich und das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung.
SORA Team:
Christoph Hofinger, Günther Ogris, Evelyn Hacker, Corinna Mayerl, Paul Ogris
hdgö Team:
Monika Sommer, Stefan Benedik, Eva Meran, Enid Wolf
Unterstützende Historiker: Dirk Hänisch, Thomas Hoffmann, Nikolaus Thoman
Datenquellen: Dirk Hänisch, Thomas Hoffmann, wahldatenbank.at, BMI, SORA
Design Webpage: treat.agency
Grafik: datenwerk innovationsagentur GmbH
Mitarbeit Longread: Fyodor Shulgin