Meine Damen und Herren!
Wohin und zurück.
Sie kennen vielleicht diesen Film über die Flucht eines Wieners vor den Nationalsozialisten und seine Rückkehr nach Europa wenige Jahre später.
Georg Stefan Troller, der aus Wien Vertriebene, der Emigrant, schrieb das Drehbuch. Axel Corti – übrigens auch er ein Geflüchteter – führte Regie.
Wohin und zurück – der Titel ruft Wehmut hervor, angesichts eines angedeuteten ungewissen Schicksals.
Wohin wird es einen verschlagen, in den Wirren des Krieges, der Verfolgung, des Hasses. Doch bei aller Wehmut lässt uns der Titel gleichzeitig hoffen – wohin und zurück.
Wo auch immer jemand gestrandet ist. Er – oder sie – findet zurück. Möglicherweise in eine Heimat, in der er nicht mehr heimisch wird. Aber zumindest kann er versuchen, wieder Wurzeln zu schlagen.
Zumindest hat er überlebt.
Dieser Hoffnung können wir uns bei Erzählungen über Maly Trostenez nicht hingeben.
Maly Trostenez, diesen Namen kannte niemand. Schon gar nicht kannten ihn diejenigen, die dazu bestimmt wurden, dorthin deportiert zu werden. Hier gab es ein fragendes Wohin – doch für niemand ein Zurück.
Menschen, die dazu aufgefordert waren, sich am Aspangbahnhof einzufinden, die dort in Eisenbahnwaggons verladen wurden, die, ohne das Ziel zu kennen, tagelang ohne Nahrung, ohne Wasser auf die Reise geschickt wurden: diese Menschen waren Todgeweihte.
Vor einem Jahr habe ich diesen Ort, habe ich Maly Trostenez besucht. Den Ort, an dem mehr als zehntausend jüdische Österreicherinnen und Österreicher den gewaltsamen Tod fanden. Und unzählige Angehörige anderer Länder.
Bei einer Zeremonie haben wir miteinander der Opfer gedacht. Das Reden fiel mir schwer, sehr schwer, angesichts des Grauens dieses Ortes.
Wohin auch immer man dort seine Schritte setzt, kommt man mit Bloodlands in Berührung, wie der US-Historiker Timothy Snyder diesen blutgetränkten Boden so treffend genannt hat.
Maly Trostenez war ein reiner Vernichtungs-Ort. Die meisten, die hier ankamen, wurden sofort umgebracht. Männer, Frauen, Kinder, die noch einige Tage zuvor in den Straßen Wiens unsere Nachbarinnen und Nachbarn waren.
Gerade einmal siebzehn haben diese Hölle überlebt.
Meine Damen und Herren!
Meine Frau und ich, haben einen Baum gepflanzt. Wir haben damit den Grundstein gelegt für das Mahnmal, das nur wenige Monate später als Ergebnis österreichisch-weißrussischer Zusammenarbeit errichtet werden sollte: Für das „Massiv der Namen“.
Es nennt die Vornamen aller österreichischen Opfer. Es holt damit die ermordeten Menschen in die Gegenwart. Es zwingt uns, sich mit ihrer Vergangenheit zu befassen – und damit auch mit der unsrigen.
Wir wollen uns an die Geschehnisse in Maly Trostenez und an ähnlich grauenvollen Orten erinnern, um sie dem Vergessen zu entreißen.
Wir wollen der unzähligen Opfer gedenken und dabei stets dessen gewahr sein, dass sie von Menschenhand zu Opfern gemacht wurden. Darunter auch von einer Reihe von Österreicherinnen und Österreichern.
Ihre Verbrechen wurden allzu oft nur unzureichend geahndet, weil es einfacher bzw. politisch opportun war, zu vergessen und zu verdrängen.
Ich möchte heute auch danken.
Waltraud Barton, für Ihre Beharrlichkeit und Ihr großartiges Engagement, die Toten von Maly Trostenez nicht weiterhin dem Vergessen preiszugeben.
Dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes dafür, dass den Opfern ihre Namen zurückgegeben werden konnten.
Daniel Sanwald für sein berührendes „Massiv der Namen“.
Monika Sommer und ihrem Team dafür, diese so wichtige Ausstellung nach Wien geholt zu haben.
Meine Damen und Herren,
Sie haben sicher von der Ausstellung „Gegen das Vergessen“
des Fotografen Luigi Toscano gehört, die als erstes in Babyn Jar in der Nähe von Kiew in der Ukraine gezeigt wurde – einem weiteren Ort des nationalsozialistischen Massenmordes.
Bis vor kurzem wurden die Porträts von Holocaust-Überlebenden auch an der Wiener Ringstraße gezeigt – und gleich mehrfach von Unbekannten mit Hakenkreuzen beschmiert bzw. massiv beschädigt.
Der Akt der Schändung zeigt, dass wir noch einen weiten – gemeinsamen – Weg des Widerstandes gegen den Hass und gegen den Antisemitismus zu beschreiten haben.
Aber der Akt der Zivilcourage, der folgte, das Vernähen der Risse, die Bewachung der Porträts durch meist junge Menschen, birgt Hoffnung.
Wohin und zurück.
Wer nach Maly Trostenez gebracht wurde, kam nicht zurück.
Und wir können dies nicht ungeschehen machen. Wir können nur unsere Stimme erheben und jeden einzelnen und jede einzelne der Ermordeten in unser gemeinsames Gedächtnis zurück holen.
So bleibt mir nur, im Sinne einer friedlichen Zukunft zu mahnen:
Niemals vergessen!
Danke