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Österreicherin, Österreicher sein –
das kann man lernen.

Ein Interview mit Direktorin des hdgö Monika Sommer zum Thema Integration und emotionale Zugehörigkeit


Was macht eine Person zum Österreicher? Gibt es gemeinsame Traditionen, Werte, eine Basis?

MS: Eine Person wird für mich - abgesehen von allen formalen und juristischen Aspekten - dann zum Österreicher bzw. zur Österreicherin, wenn es den festen, individuellen Willen gibt, in diesem Land künftig leben und sich konstruktiv in die Gestaltung eines vielfältigen und friedlichen Österreich einbringen zu wollen. Eine Basis bilden Demokratie, Toleranz und Menschenrechte, ebenso wie die Geschichte, die Gesellschaften durch die gemeinsame Erfahrung zusammenhält, aber auch polarisiert.

 

Was macht die österreichische Identität aus?

MS: Österreich hat sich in den letzten Jahrhunderten immer wieder verändert und immer wieder neu erfunden, es gibt also keinen klassischen Kriterienkatalog für österreichische Identität. Die österreichische Landschaft und die Dichte der hervorragenden und vielfältigen Kunst- und Kultur sind sicherlich Aspekte, warum viele gerne in Österreich leben oder das Land besuchen. Doch auch dunkle Seiten wie die Mitverantwortung an den Verbrechen NS-Terrors und das lange Schweigen darüber in der Zweiten Republik sind Aspekte unser Identität, ebenso wie die Tatsache, ein Teil der europäischen Gemeinschaft zu sein.

 

Wie wichtig ist die emotionale Zugehörigkeit zu Österreich für den Integrationsprozess?

MS: Die emotionale Zugehörigkeit ist wohl der Schlüssel für die Integration. Wer sich nicht in das Land, in dem er/sie lebt, einbringen möchte oder umgekehrt, wer sich nicht wertgeschätzt fühlt, tut sich schwer, sich als zugehörig zu verstehen.

 

Wie definieren Sie persönlich Heimat?

MS: Mir gefällt eine Definition von Radek Knapp sehr gut, der meint, Heimat sei dort, wo die eigene Waschmaschine steht. Das klingt lapidar, doch es steckt viel Bedeutung drin. Für mich ist Heimat dort, wo meine Familie ist und  wo meine Freunde leben.

 

Wie ändert sich das Bild des typischen Österreichers durch Migration, welche Chancen und welche Probleme können sich ergeben?

MS: Diese Frage kann ich so kaum beantworten, denn den typischen Österreicher oder die typische Österreicherin gibt es ja bekanntlich nicht und ohne (Binnen)Migration wären wir ein armes Land. Österreich war auch in der Monarchie schon pluralistisch verfasst und das ist gut so. Als besonders typisch Österreichisch oder Wienerisch gilt aktuell der Sager "Schleich dich, du Oaschloch!", der bei dem unfassbaren Anschlag in Wien dem Attentäter zugerufen worden sein soll.

 

Sie sprachen in einem Interview davon, man könne das „Österreichersein“ lernen. Können Sie das näher ausführen?

Damit meine ich, dass nach 1945 ein ganzes Land (wieder) lernen musste, was "Österreichersein" bedeutet, denn von 1938-45 gab es Österreich formal nicht und davor war das Österreichbewusstsein von der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur vereinnahmt worden. Viele Traditionen wurden damals erfunden, um eine gemeinsame Erfahrung zu ermöglichen, z. B. die Rückbesinnung auf die Ostarrichi-Urkunde 1946, als man das Jubiläum "950 Jahre Österreich" inszenierte, die Einführung des Tags der Fahne bzw. des Nationalfeiertags - um nur einige Beispiele zu nennen. Auch heute noch werden in den Kindergärten dazu Fahnen gebastelt. Geschichte und Traditionen kann man erlernen, wenn man sich damit auseinandersetzt und dann kann man auch ein Teil davon sein. Das bedeutet nicht, dass man sein bisheriges kulturelles Gepäck verlernen muss. Eine Gesellschaft ist immer dynamisch, Menschen sollten es auch sein, egal, ob sie von hier sind oder nicht.

 

Wie viel Identifikation mit der Lebensweise und Kultur der neuen Heimat ist ihrer Meinung nach für die Integration notwendig?

MS: Ich möchte hier nicht unbedingt von Identifikation sprechen. Ich bin überzeugt, dass es von allen Seiten die Akzeptanz vielfältiger Lebensweisen braucht um neue Erfahrungen - wie zum Beispiel die Gleichstellung der Geschlechter - anzuerkennen. Es braucht vom Aufnahmeland und von den Neuankömmlingen jeweils den festen Willen, miteinander ein gutes Leben in einer Demokratie, in Freiheit und unter Wahrung der Menschenrechte führen zu wollen - das bedeutet Arbeit für beide Seiten. Es heißt, mit Wertschätzung aufeinander zugehen und mit Differenzen zu leben. 

 

Dieses Interview entstand  mit dem Magazin „ZUSAMMEN“, das vom Österreichischen Integrationsfond herausgegeben wird. Ein Auszug aus diesem Gespräch ist in der Ausgabe 12/2020 erschienen.