1998: Frischluft aus der Dose
Beklebte Konservendosen von „Radio Agora“ mit der Aufschrift „Aktion: Frischluft für Kärnten/Akcija: Svež veter v korški eter“, 1997–1998/Haus der Geschichte Österreich, Schenkung von Helmut Peissl
Die frische Luft, die in Kärnten 1998 geatmet werden konnte, kam tatsächlich aus der Konserve, nämlich aus dem Radio: Nach fast einem Jahrzehnt des Rechtsstreits hatten Aktivist*innen die Möglichkeit für die Gründung legaler Radiosender abseits des staatlichen Rundfunks durchgesetzt. Maßgeblich dafür waren Initiativen aus Kärnten, die auch auf Slowenisch senden wollten.
Erstmals waren in Kärnten/Koroška 1989 zweisprachige Sendungen zu hören. Die Aktivist*innen wählten dafür mit einer italienischen Alm in Grenznähe als Ausgangspunkt der Ausstrahlung die einzige legale Möglichkeit, Radio zu machen. Im gleichen Jahr gründeten sie den Verein „Agora“ („Arbeitsgemeinschaft offenes Radio/Avtonomno gibanje odprtega radia“), mit dem Ziel, das Recht auf die Gründung freier Radios durch eine Klage auf der allerhöchsten Ebene durchzusetzen – vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Erreicht wurde dieses Ziel schließlich 1993 in Zusammenarbeit mit anderen Radioinitiativen, besonders Gleichgesinnten aus Oberösterreich. Gesendet werden, konnte in Kärnten fünf Jahre später, nachdem im Parlament über die Vergabe der Lizenzen verhandelt worden war. Es wurde allerdings nur ein Sendeplatz für ein freies Radio für Kärnten zugelassen. Daher einigte sich Radio Agora mit dem Sender Korotan darauf, sich die Frequenz trotz großer ideologischer Unterschiede zu teilen.
Die eigentliche Sendetätigkeit begann am 26. Oktober 1998 und schlug ein wichtiges Kapitel in der österreichischen Rundfunkgeschichte auf. Radio Agora sendet seither täglich mehrsprachig Programme. Der Großteil der Sendungen ist auf Slowenisch, aber es sind auch Beiträge in Deutsch, Bosnisch-Kroatisch-Serbisch, Russisch, Spanisch, Englisch und Arabisch zu hören. Die Beiträge werden sowohl von Angestellten als auch von freien Mitarbeiter*innen gestaltet. Die Gründung dieses neuen Senders bedeutete eine Weiterentwicklung der Medienlandschaft und die Zunahme von Vielfalt unter den österreichischen Medien: Menschen wurden eingeladen, selbst Radio zu machen. Aus Zuhörer*innen wurden Programmgestalter*innen – lange vor der Erfindung von Podcasts.
Wir danken Helmut Peissl für Informationen und Johannes Pötzlberger für Textbeiträge.
Eine prominente Unterstützerin von Radio Agora war Elfriede Jelinek. Für die Aktion „Frischluft für Kärnten“ schrieb sie 1998 einen Text, der auf der Dose abgedruckt wurde.
Es wird etwas Luft über Österreich zur Verfügung
gestellt, damit, was niemandem gehört: Schallwellen
darauf herumfahren und manchmal sogar ordentlich
schaukeln können.
Diese Wellen sollen aber offenkundig, wenn man manche
heimischen, unheimlichen Zeitungen so liest, nur
so und so lang sein dürfen. Sie gehen zu weit, wenn sie
bis zu einer slowenischsprachigen Minderheit gehen.
Dann müssen sie wieder zurückgepfiffen oder gleich
ganz geglättet werden, am besten schon bevor sie aus
gesandt werden.
Es ist ein zweisprachiges Lokalradio schon aus dem
Grund zu unterstützen, weil es so etwas bisher noch
nicht gegeben hat und daher endlich geben muß.
Damit sich alle dort zu Hause fühlen können, wo sie
sprechen und daher: sind.
Elfriede Jelinek, Text auf der Dose zur Aktion „Frischluft für Kärnten“, Mai 1998
Aus: Pia Janke (Hg.), Die Nestbeschmutzerin. Jelinek & Österreich, Salzburg/Wien 2002, S. 80.