1933: Die Ausschaltung des Verfassungsgerichtshofes
Strategische Rücktritte machen das Höchstgericht handlungsunfähig
Nachdem die Regierung Dollfuß das Parlament im März 1933 ausgeschaltet hatte, nutzte sie das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz (KWEG) von 1917 als rechtliche Grundlage, um mittels Notverordnungen weiterzuregieren. Allerdings wurde der Rahmen des KWEGs überschritten: Es wurden Kriegswirtschaftsverordnungen erlassen, welche verfassungsändernden Charakter hatten, obwohl Maßnahmen auf der Basis dieses Gesetzes keine verfassungsändernden Bestimmungen beinhalten durften. Außerdem mussten Maßnahmen auf der Basis des KWEGs wirtschaftlich bedingt sein. Allerdings hatten viele Verordnungen praktisch keinen ökonomischen Hintergrund. Dadurch kam es zu einer Reihe von Verfassungsbrüchen.
Die sozialdemokratische Wiener Landesregierung focht mehrere der von der Regierung erlassenen Kriegswirtschaftsverordnungen beim Verfassungsgerichtshof an. Die Regierung Dollfuß schaltete daraufhin im Mai 1933 den Verfassungsgerichtshof aus: Am 18. Mai 1933 trat ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofes zurück, welches der Regierung nahestand, aber vom Parlament vorgeschlagen worden war. Am 20. Mai bzw. am 22. Mai 1933 traten ein weiteres Mitglied sowie ein Ersatzmitglied, welche vom Parlament vorgeschlagen worden waren, zurück. Die Regierung erließ daraufhin am 23. Mai 1933 eine verfassungswidrige Verordnung, die besagte, dass jene Mitglieder und Ersatzmitglieder, welche auf Vorschlag des Nationalrates und des Bundesrates vom Bundespräsidenten ernannt worden waren, nur dann an Verfassungsgerichtshofsitzungen teilnehmen durften, wenn und solange noch sämtliche (also alle) vom Nationalrat und Bundesrat vorgeschlagenen Mitglieder und Ersatzmitglieder dem Verfassungsgerichtshof angehörten – was nach diesen Rücktritten nicht mehr der Fall gewesen sein konnte. Damit wurden vier weitere Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder, die auf Vorschlag des Parlamentes ernannt worden waren, daran gehindert, ihre Funktion auszuüben. Die Rücktritte eines weiteren Mitgliedes und dreier Ersatzmitglieder, die auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt worden waren, sorgten dafür, dass keine Verhandlungen mehr möglich waren, weil die nötige Mitgliederzahl nicht mehr erreicht wurde. Der Verfassungsgerichtshof war somit ausgeschaltet.
Der Originaltext der Verordnung ist hier nachzulesen:
Verordnung der Bundesregierung vom 23. Mai 1933, betreffend Abänderungen des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1930: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=bgb&datum=19330000&page=553 (B.G.Bl. 1933/191)
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