Welche Geschichte wird gezeigt? Wessen Geschichte wird erzählt? Wie und warum? Ausgehend von diesen Fragen beforschten Jugendliche die Darstellung der letzten 100 Jahre österreichischer Geschichte im Haus der Geschichte Österreich. Es waren insbesondere Biographien, die in dieser mehrteiligen Workshopreihe im Juni 2019 gemeinsam genauer unter die Lupe genommen wurden. Dabei ging es auch um die gesellschaftliche Sichtbarkeit verschiedenster Lebensgeschichten, damals wie heute.
Eintauchen in die Geschichte Österreichs
Anfang Juni 2019 besuchte zunächst das Projektteam des hdgö für ein erstes Kennenlernen die Gruppe Jugendlicher bei Interface – diese absolvieren dort aktuell einen Deutschkurs. Nach einer Vorstellrunde wurden zunächst verschiedene Fragen zum Thema Museum besprochen: Welche Museen kennen die Jugendlichen? Was macht ein Museum eigentlich? Wozu gibt es Museen? Und was ist die Aufgabe speziell von Geschichtsmuseen? Am Ende des Treffens wurde das geplante Programm für die kommenden vier Termine vorgestellt und den Jugendlichen das Angebot gemacht, beim Projekt dabei zu sein.
Am ersten Nachmittag im hdgö stand das Kennenlernen der Ausstellung Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918 im Fokus. Nach einer kurzen Einführung in wesentliche Ereignisse österreichischer Geschichte der letzten 100 Jahre erkundeten die Jugendlichen zunächst selbständig die Ausstellung in Kleingruppen und bestimmten durch Markierungen, über welche Bereiche bzw. Aspekte sie mehr erfahren wollten – diese wurden dann gemeinsam genauer unter die Lupe genommen.
Am folgenden Nachmittag widmeten wir uns Geschichten von Personen, die in der Ausstellung Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918 erzählt werden. Die Auseinandersetzung mit Biografien und individuellen Erfahrungen kann einen unmittelbaren und greifbaren Zugang zu historischen Ereignissen und Entwicklungen ermöglichen. Die Jugendlichen konnten sich aus mehreren Biografien in Kleingruppen eine auswählen und erhielten mit Bild und Text gestaltete Karten, die genauere Informationen zur Lebensgeschichte enthielten. Mit den Informationen aus der Ausstellung und den zusätzlichen Materialien setzten sie sich mit der jeweiligen Biografie auseinander und formulierten Fragen an die Person bzw. Aussagen zur eigenen Wahrnehmung der jeweiligen Lebensgeschichte.
Der eigene Blick
Die Künstlerin Maryam Mohammadi, selbst mit einer Videoarbeit in der Ausstellung vertreten, wurde eingeladen, mit den Jugendlichen zwei Nachmittage lang einen Fotoworkshop abzuhalten. Sie leitete diesen ein mit einem Gespräch über Beziehungen zu Orten, die für einen längeren Zeitraum als Lebensmittelpunkt dienten und ließ ihre persönliche Geschichte und ihre Erfahrungen einfließen.
Nach einer theoretischen wie technisch-praktischen Auseinandersetzung mit Fotografie begab sich die Gruppe zu einer Auswahl an Orten, die von den Jugendlichen sowohl mit negativen als auch mit positiven Erlebnissen assoziiert werden. Vor Ort sahen wir gemeinsam genauer hin – der Blick der Jugendlichen auf für sie bekannte Orte veränderte sich. Die Linse des Fotoapparates, technisch wie auch künstlerisch, ermöglichte eine neue Auseinandersetzung mit der Stadt. Es wurde sowohl mit Handykameras, als auch mit professionellen Kameras gemeinsam fotografiert und eine ganze Reihe an Bildern entstand.
Im Juli schließlich wurde gemeinsam die Projektpräsentation vorbereitet. Alle beschäftigten sich dann mit ihren eigenen Fotos und überlegten eine Auswahl bzw. Zusammenstellung sowie Titel für die Einzelbilder. Zum Abschluss einigte sich die Gruppe noch auf einen gemeinsamen Ausstellungstitel: Mein Blick.
Präsentation und Fazit
Am 3. September wurden die Ergebnisse im Vermittlungsraum des Hauses der Geschichte Österreich präsentiert und waren dort bei freiem Eintritt bis einschließlich 15. September 2019 zu sehen.
Die Sichtbarmachung der eigenen Perspektiven der Jugendlichen war von Anfang an ein besonderes Anliegen in diesem Projekt. Die Auseinandersetzung mit Geschichte, das Verständnis der Beziehungen zwischen historischen bzw. politischen Ereignissen und den persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen – und damit die Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und Position innerhalb einer Gesellschaft – erachten wir als essentiell für ein kritisches Bewusstsein und einen reflexiven Blick auf das eigene Umfeld. Fotografie kann dabei ein Mittel zur Selbstermächtigung sein und Vehikel für eine Blickverschiebung.
Projektbeteiligte: Rawshan Aisaid Ahmed, Parmida Ansari, Mojdah Azimi, Kenda Barakat, Markus Fösl, Samuel Gebrebrhan, Ana-Maria Jelinschi, Eva Meran, Farah Mobarak, Maryam Mohammadi, Shakiba Moradi, Atiq Nabizaba, Antonia Plessing, Heveen Rasheed, Esin Turan
„Wessen Geschichte“ ist ein Projekt des Hauses der Geschichte Österreich und von Interface Wien in Kooperation mit "Hunger auf Kunst und Kultur" im Rahmen von "Kultur-Transfair IX", einer Projektschiene, die durch das MehrWERT Sponsoringprogramm der Erste Bank ermöglicht wird.
Text: Markus Fösl, Eva Meran, Antonia Plessing
Fotos: Nick Mangafas für KulturTransfair