Auflösung des Gewinnspiels vom Juni

Bild: Ausrufung der Republik Deutschösterreich, Menschenmassen vor dem Parlament, Foto: Richard Hauffe, Credit: Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek

Foto: Richard Hauffe, Credit: Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek

1918 wird Österreich eine demokratische Republik. Gewählte ParlamentarierInnen übernehmen die Macht und setzen Signale: Frauen dürfen sich erstmals politisch betätigen. Grundrechte werden gestärkt, Zensur und Todesstrafe abgeschafft. Die Widersprüche dieser Zeit nach dem Ersten Weltkrieg prägen jedes einzelne Leben: Kriegswirtschaft und abgeschnittene Transportwege führen auch noch im Frieden zu Not und Mangel. Soziale Maßnahmen können die schlechte Versorgung nur teils mindern. Die Truppenbewegungen verbreiten ein Virus weltweit, die erste Grippe-Pandemie bricht aus. Mit den Steckbriefen von neun unterschiedlichen Menschen zeigen wir exemplarisch auf, wie die Demokratie Leben veränderte.

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„In der Republik kann es keine Privilegien geben, in der Republik kann es nur Menschen geben, die gleichen Rechtes, gleichen Titels und gleichen Ranges sind“, davon ist Adelheid Popp ((1869–1939) überzeugt. Trotz polizeilicher Beobachtung und den frauenfeindlichen Vorurteilen vieler Sozialdemokraten gewinnt sie an Einfluss. Sie wird ins Parlament gewählt und hält als erste Frau dort eine Rede. Als Abgeordnete versucht Popp von 1919 bis 1933, die Rechte von Frauen zu verbessern – zum Beispiel dadurch, dass Mütter und Väter gleichberechtigt für die Erziehung verantwortlich wären. Dieser Einsatz ist aber kaum erfolgreich. Gerade wenn es um Ehe und Familie geht, übernimmt die Republik viele Regelungen aus der Monarchie.

Leopold Wölfling (1868–1935) ist als Erzherzog Leopold Ferdinand Salvator ein Nachfahre von Kaiser Leopold II. Aus der Familie Habsburg-Lothringen scheidet er aus, weil er eine Heirat mit einer Sexarbeiterin eingehen will. Er lebt zwar ohne irgendein Vorrecht unter bürgerlichem Namen, wird aber finanziert vom Familienfonds. Als dieses Vermögen Eigentum der Republik wird, verarmt Wölfling. Er wird vom Fürsten zum Greißler und betreibt einen Gemüseladen in einem Gemeindebau in Wien Kaisermühlen. Am Ende seines Lebens zieht Wölfling nach Berlin und zeigt sich dort als begeisterter Anhänger des Nationalsozialismus.

Hans Kelsen (1881–1973) entwickelt mit der Verfassung 1919 Regeln, durch die trotz gegensätzlicher Interessen gemeinsame Lösungen entstehen können. Eine unabhängige Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof wird garantiert. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft wird Kelsen auf der Universität und später am Verfassungsgerichtshof von vielen bekämpft. Schließlich bringen ihn die Deals der Parteipolitik dort zu Fall. Ursprünglich war auch Kelsen für einen „Anschluss“ an Deutschland – aber an einen demokratischen Staat. Das NS-Regime verhöhnt und vertreibt ihn. Erst heute, hundert Jahre nach seiner historischen Leistung, bekommt er breite Anerkennung. Eine sehr späte Würdigung für den Erfinder der Demokratie des Ausgleichs.

„Nach der Staatenlosigkeit von Jahren, erhalte ich einen tschechischen Paß. (...) Ich gehöre der hochverräterischen Nation an. (...) Ich, Österreichs deutscheste Schriftstellerin.“ Die deutschnationale Schriftstellerin Edith Gräfin Salburg (1868–1942) wird durch die neuen Grenzen zur Ausländerin: ihr wird die Staatsbürgerschaft ihres tschechischen Ehemanns zugewiesen. Nach der Republikausrufung wohnt sie in Deutschland, wo es ihr nicht gelingt, Fuß zu fassen. Als Schriftstellerin kann sie einige kleine Erfolge feiern, aber der Durchbruch bleibt ihr versagt. Nach der NS-Machtübernahme werden ihre finanziellen Probleme durch Zuwendungen gelindert, sie bekommt aber dennoch nicht die Anerkennung, die sie sich erwartet.

Hildegard Burjan (1883–1933) stammt aus einem jüdischen Elternhaus und zählt zu den ersten Frauen, die ein Doktoratsstudium abschließen können. Obwohl sie früh die katholische Religion annimmt, wird sie als Jüdin betrachtet und benachteiligt – selbst in ihrer eigenen Partei. Sie bleibt nur wenige Monate im Parlament und konzentriert sich danach auf ihre Sozialinitiativen. Diese widmen sich besonders Frauen, deren Leben nicht den herrschenden Moralvorstellungen entspricht (z.B. unverheiratete Mütter und Sexarbeiterinnen). Vor ihrem Tod regt sie den Bau einer Gedächtnis-Kirche für Kanzler Seipel an. 2012 wird sie vom Papst selig gesprochen.

Adam Hefter (1871–1970) ist ein Diener Gottes und vieler Herren. 1918 ruft der letzte vom Kaiser ernannte Fürstbischof seine Gläubigen dazu auf, die Republik zu unterstützen. Wie viele andere Geistliche seiner Zeit übt Bischof Hefter auch in der Republik weiter politische Ämter aus – er wird Mitglied der Christlichsozialen Partei. Einerseits vertritt er stark deutschnationale Haltungen, andererseits unterstützt er die slowenisch-sprachige Bevölkerung und Priesterschaft seiner Diözese. Später setzt er sich dafür ein, dass die katholische Kirche den Nationalsozialismus nicht verurteilt. Das Ende der Selbständigkeit Österreichs 1938, den „Anschluss“ an Deutschland, begrüßt Hefter.

Richard Seeger (1896–1997) stammt aus einer bürgerlichen Familie, sein Vater war Richter am Bezirksgericht Linz. Gleich nach seiner Matura muss er als Soldat im Ersten Weltkrieg kämpfen, er hofft aber immer, bald studieren zu können. 1918 schwankt er zwischen Freude über das Kriegsende und Schmerz über die Niederlage. Die Republik bedeutet aber nicht, dass sein Leben völlig anders verläuft als erwartet: Er studiert schnell, um seine Verlobte Marianne heiraten zu können. Danach macht er Karriere in Magistraten in ganz Österreich und wird in der Zweiten Republik Magistratsdirektor der Stadt Salzburg.

„Der Krieg war aus, aber was begann? (...) Besiegt, entwürdigt, das großväterliche Erbe dahin, mußte der Mann im abgeschabten Waffenrock sich aus zersplittertem Holz eine Zukunft zimmern.“ Der Vater von Hilde Spiel (1911–1990), ein Offizier der Habsburger-Armee, verlor mit Ende der Monarchie 1918 seine Arbeit. Vorübergehend wohnt die Familie bei Hildes Großmutter, gewinnt aber schließlich ihren bürgerlichen Standard zurück. Hilde Spiel besucht eine Reformschule, studiert später Philosophie und Psychologie. Zunehmend wird sie als Jüdin angegriffen – obwohl zuletzt ihre Urgroßeltern Mitglieder der jüdischen Gemeinde waren. Sie rettet sich nach Großbritannien und kehrt nach dem Zweiten Weltkrieg als berühmte Journalistin nach Österreich zurück.

Marie Toth (1904–2006) wird in eine Familie tschechischer ZiegelarbeiterInnen in Leobersdorf bei Wien geboren. Der Vater verstirbt früh. Dass es wenig zu essen gibt, kann auch die Republik kaum ändern. Die Familie versucht auf Feldern zu sammeln, was bei der Ernte übersehen wurde oder tauscht am Schwarzmarkt Waren gegen Lebensmittel. Durch die Unterstützung von Organisationen für ArbeiterInnen, beispielsweise dem Konsumverein, kann sich Marie Toth im neuen Staat aber langsam ein etwas besseres Leben aufbauen. Die Wirtschaftskrise macht das zunichte und die immer feindseligere politische Stimmung zerstört den Frieden im Alltag.

Chancen einer Zeitewende

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